Putzmunteres Frühjahr

Früher begann man mit dem Putzen einfach so. Aus der Alltags-Verrichtung ist ein komplexer Vorgang geworden, über dessen Sinn und seelischen Nutzen wir in Seminaren aufgeklärt werden.

Putzmunteres Frühjahr
Foto: dpa, may

Das ist keine Handlungsanweisung. Nicht einmal eine Aufforderung. Es ist vielleicht so etwas wie eine Selbstbeschwörung: zum Frühjahrsputz.

Früher hat man damit einfach angefangen, wahrscheinlich mit den ersten Sonnenstrahlen, die all den Winterstaub unschön sichtbar werden ließen. Heute macht man sich erst einmal ausgiebig schlau über Sinn und Unsinn des Reinigens. Damit gewinnt man nicht nur Zeit, sondern gelangt auch auf unerwartete Pfade. Zum Beispiel in jene der Kindheit. Wer beispielsweise bereits zu D-Mark-Zeiten die meisten üblichen Sinne beisammen hatte, kennt sie noch: die Teppichstangen in den Hinterhöfen. Fast immer waren sie dunkelgrün gestrichen und sehr oft schon leicht angerostet. Darüber wurden dann die Teppiche gelegt und mit einem Teppichklopfer bearbeitet; natürlich aus Weidenrohr. Das war mühsam, doch in der Erinnerung war das eine gesellige Verrichtung von Frauen, die Schürze und oft auch Kopftücher trugen. Die zu dieser Gewandung passende Religion war der Glaube daran, dass Ordnung und Sauberkeit daheim das Abbild einer ordentlichen und sauberen Welt sein könnten.

Dagegen wäre auch im Jahr 2015 eigentlich nichts einzuwenden; doch ist in unserer Zeit so gut wie alles erheblich schwieriger geworden. Und dabei scheint unser Putzen so viel bequemer zu sein. Zumal wir zum Dreck eine distanzierte Haltung einnehmen. Vorbei die Zeit, in der auf Knien dem Dreck im Nahkampf zu Leibe gerückt wurde. Stattdessen bedienen wir uns Zigtausend-Watt-Staubsauger und eines ausgefeilten Wischmop-Systems, für dessen korrekte Handhabung ein abgeschlossenes Ingenieurstudium nützlich ist.

Wer es sich leisten kann, putzt ohnehin nicht mehr selbst. Die Putzhilfe ist der Siegeszug der Mittelschicht. Hat irgendwann irgendein Kulturtheoretiker gesagt. Einer dieser Zeitgeist-Merksätze, die so gut klingen, dass man sie erstens nicht vergisst und zweitens ihre Fadenscheinigkeit nicht hinterfragt.

Aber auch das zeigt, dass wir Theoretiker geworden sind. Und das ist der Preis der Moderne, die begonnen hat, das Private zu ästhetisieren. Über Magazine wird uns das "Schöner Wohnen" gelehrt, zu dem auch das "Sauberer Wohnen" gehört. Das entspricht der Ideologisierung unseres Heims: Es ist jetzt Schauplatz und Sammelstelle eines neuen Bedürfnisses nach Nestwärme. Soziologen nennen das Cocooning. Da kann sich das Heim zu einer kleinen Burg mausern, die nur unter Voranmeldung zu betreten ist. Mit Folgen auch fürs Putzen: "Solange wir glauben, dass einem Besuch von Freunden und Verwandten immer ein Großputz vorausgehen muss, wird unser Leben um viele gemütliche Kaffeekränzchen, lockere Abendessen und ausgedehnte Sonntagsfrühstücke ärmer sein", schreibt Maria Antes in ihrem unverdrossen fröhlichen Putzbuch "Wisch und Weg".

Durch Putzen wird unsere Welt nicht ärmer. Wer aber in jedem Dreckfitzelchen keine Spuren des Lebens mehr sieht (die dann ja auch andere sehen dürften), sondern nur Zeugnisse vermeintlicher Verwahrlosung, macht aus der Alltagsarbeit leicht eine Weltanschauung und aus jedem Staubwischen ein mittelgroßes Spektakel.

Sollte das kleine Ritual vom Aussterben bedroht sein, so müsste wenigstens der Frühjahrsputz unter Artenschutz gestellt werden. Denn es ist eine umfassende Verrichtung, was mittlerweile Männern wie Frauen auch in Seminaren vermittelt wird. Die Schweizer Putz-Päpstin heißt Katharina Zaugg und rät in ihren Kursen dazu, die energieraubende Verachtung des Putzens endlich aufzugeben. Denn Putzen soll gegen Stress und Überforderung helfen, gegen Depressionen und Angststörungen. Der Frühjahrsputz tut der Seele gut, meint Zaugg; und damit es ihr total gutgeht, solle man nur gutriechende Reinigungsmittel verwenden und sich so kleiden, dass man sich schön fühlt. Eine Art Wellness-Putzen.

Im Frühjahr steht das Putzen aber unter einem besonderen Vorzeichen. Denn es geht dabei nicht nur um die fröhliche Vernichtung des Winterdrecks, es geht manchmal auch um die Entrümpelung zum Jahresauftakt. Erkenne Überflüssiges und sortiere es aus, heißt das Mantra des übersichtlicheren Lebens. Das aber ist keine Kleinigkeit. Eine amerikanische Anthropologin hat einmal errechnet, dass beim Aufräumen einer mittelgroßen Wohnung in nur 30 Minuten bis zu 3000 Entscheidungen getroffen werden müssen.

Unfassbar! Das muss erst einmal in Ruhe bedacht werden. Wahrscheinlich ist es darum auch besser, mit dem Putzen nicht gleich heute zu beginnen.

(RP)
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