Bonn Rätselraten um Lüpertz' Bonner Beethoven

Bonn · Der Maler, Bildhauer und ehemalige Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie zeigt den Komponisten als Verletzten in Bronze.

Die Wegbeschreibung stimmt: Von der Bonner Universität gehe man wenige hundert Meter durch den Hofgarten in Richtung Rhein. Aha, der Rhein ist da, aber wo ist Markus Lüpertz' "Hommage an Beethoven"? Fast hätte man das dunkle Bronze-Denkmal vor und zwischen Bäumen übersehen. Denn so monumental es im Atelier gewirkt haben mag, im Freien nimmt es sich mit seiner Höhe von 2,70 Meter trotz Sockels recht klein aus.

Am Nachmittag haben sich manche Passanten eingefunden und rätseln vor allem darüber, warum die Skulptur zwei Köpfe hat, warum sie teilweise bemalt ist und warum Lüpertz mal wieder eine Figur fast ohne Gliedmaßen abgeliefert hat. Lüpertz selbst sagt, er habe einen Beethoven mit gebrochenem Herzen darstellen wollen, eine verletzte Gestalt. Der Kopf unten sei ein Porträt des Komponisten, den aufragenden Torso könne man vielleicht als Orpheus verstehen. Wie alle Künstler hält er nicht viel davon, sein eigenes Werk zu deuten.

Versuchen wir uns also als Interpret dieser 1,1 Tonnen schweren Freiluft-Plastik am Rhein, welche die ortsansässige private "Stiftung für Kunst und Kultur" der Stadt Bonn für zehn Jahre als Leihgabe zur Verfügung gestellt hat. Man gewinnt den Eindruck, dass das Werk ein Spiegel von Unentschlossenheit ist. Der Kopf rechts unten wendet sich mit der typischen Beethoven-Mähne offenbar an ein Publikum, das sein Idol wiedererkennen möchte. Der hoch aufragende Torso mit Kopf und rechtem Bein dagegen erscheint als visionäre, utopische Figur, die den tauben Beethoven zum Sänger erhebt. Als hätte der Bildhauer diese Figur allein den Leuten nicht zumuten wollen, hat er ihr etwas Verständliches beigegeben — ein Kompromiss, den ein Künstler meiden sollte.

Lüpertz versteht sich erst in zweiter Linie als Bildhauer, von Hause aus ist er Maler. Deshalb hat er seinen Gestalten Farbe verpasst: dem Porträt Blau, der visionären Gestalt Ockertöne im Gesicht und auf der rechten Schulter. Die dunkle Bronze kann vor allem das helle Ocker gut vertragen, denn neben einem blühenden Kirschbaum und den geradezu grafischen Zweigen eines Baumriesen vor dem Rhein hat die dem Strom abgewandte Plastik zurzeit alle Mühe, die Blicke der Passanten zu fangen.

Lüpertz Umgang mit Podesten hat ein eigenes Kapitel verdient. Denn er treibt das Spiel mit der Hervorhebung dermaßen auf die Spitze, dass man es nur als Ironie verstehen kann. Auf dem Rasen des Bonner Hofgartens ist der Platz der Skulptur mit Pflastersteinen eingegrenzt. Darauf erhebt sich ein heller, edler Sockel aus Crailsheimer Muschelkalk. Darüber wiederum beginnt die Bronzeplastik — mit einem zweiten Sockel. Darauf hat der Künstler je einen bronzenen, Ziegelsteine vortäuschenden Sockel für Beethovens Porträt und — als Hocker — für die Orpheus-Gestalt platziert.

In der Nähe jener Gasse, an der Beethoven seine Kindheit verbrachte, wendet Orpheus sein blankes Hinterteil dem Rhein zu, an der Vorderfront hat Lüpertz das angedeutete Genital gut versteckt. Des Sängers Blick richtet sich gen Himmel, vielleicht in Erwartung göttlicher Inspiration. Er trägt einen grünen, etwas formlosen Lorbeerkranz. Und der Blick wirkt verzweifelt.

Warum nur verzichtet Lüpertz bei seinen Figuren so gern auf die Gliedmaßen? Seine "Hommage à Liebermann" in Berlin kommt ohne Arme aus, dem Herkules auf dem THS-Turm im Gelsenkirchener Nordstern-Park fehlt der linke Arm, ebenso dem weiblichen Mozart, den Lüpertz für Salzburg angefertigt und der ihm harschen Protest eingebracht hat. Man mag den Verzicht auf Gliedmaßen als kompositorisches Prinzip ansehen. Ungeklärt bleibt, warum Lüpertz' Helden einander derart ähneln.

Sosehr man die "Hommage à Beethoven" kritisieren mag, so sehr muss man aber anerkennen, dass eines funktioniert: Sie ist Gesprächsstoff. Kaum ein Passant, der bei seinem Bummel durch den Hofgarten nicht kurz Halt machte und über die neue Landmarke sinnierte.

In unmittelbarer Nähe der Universität trifft man auf ein urteilsfähiges Publikum. Manche suchen nach Erklärungen, die ein Künstler niemals zu seinem eigenen Werk formulieren würde. Andere wagen sich daran, das Werk selbst zu erklären und mit Sinn zu füllen. Nur wenige wollen mit dem neuen Blickfang nichts zu tun haben und ziehen ihres Weges.

Begreifen wir die "Hommage à Beethoven" also zunächst einmal als Bereicherung des Stadtbilds. Nach zehn Jahren mag die Entscheidung fallen, ob sie ein Werk für die Ewigkeit ist.

(RP)
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