Wittenberg Reformation - ein Gedenktag für alle

Wittenberg · Nicht nur evangelische Christen haben heute Grund, Martin Luther zu feiern.

Der Überlieferung zufolge schlug der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther am Tag vor Allerheiligen des Jahres 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg 95 Thesen in lateinischer Sprache. Themen waren Ablass und Buße. Zwar bezweifelt die Wissenschaft heute diesen symbolischen Akt, doch die akademische Diskussion, die Luther mit der Verbreitung seiner Thesen auf anderen Wegen anzettelte, ist bis heute spürbar. Luther leitete die Reformation der Kirche ein, indem er die damals herrschende Ansicht bestritt, dass eine Erlösung von der Sünde durch einen Ablass in Form einer Geldzahlung möglich sei. Dies sei bereits durch das Opfer Jesu am Kreuz geschehen.

Bis heute trennt Luthers sogenannte Rechtfertigungslehre die durch ihn entstandene evangelische Kirche von der katholischen. Dabei war Abspaltung gar nicht sein Ziel. Luther wollte die katholische Kirche von innen erneuern und sah doch keine andere Möglichkeit, seine Ziele durchzusetzen, als die Gründung einer konkurrierenden Gemeinschaft. Das ärgert Katholiken bis heute. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Luther viel Konfessionsübergreifendes zu verdanken ist. Durch seine Bibelübersetzung ins Deutsche machte er die Heilige Schrift dem einfachen Volk zugänglich. Mit oft derben, alltagsnahen Wortschöpfungen bereicherte er die deutsche Sprache. Lückenbüßer und Gewissensbisse, Lästermaul und Lockvogel - diese und andere Wörter gehen einzig und allein auf den Reformator zurück. Als Theologe brandmarkte er die Art und Weise, wie die Kirche das Evangelium entstellt hatte, und strebte eine Erneuerung aus dem Geist der Urtexte an.

Je näher das Jubiläum "500 Jahre Reformation" im Jahr 2017 rückt, desto klarer wird selbst der als Luther-Botschafterin eingesetzten evangelischen Theologin Margot Käßmann vor Augen stehen, dass eine ehrliche Ehrung des Reformators bedeutet, auch seine Schattenseiten zu beleuchten. Dazu zählt nicht nur sein Antisemitismus, den man noch mit einer weit verbreiteten Stimmung im ausgehenden Mittelalter erklären könnte. Vor allem geht es darum, dass er - wie der Historiker Heinz Schilling in seiner neuen Luther-Biografie nachweist - sich im Bauernkrieg trotz seiner anfänglichen Sympathie für die Bauern auf die Seite der Obrigkeit schlug und sie dazu aufforderte, gegen die Aufständischen mit Gewalt vorzugehen. So trug Luther zum Tod Zehntausender bei. Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung feierte er Hochzeit mit Katharina von Bora.

Schilling weist auch darauf hin, dass sich Luther nicht der Neuzeit zurechnen lässt. Er dachte noch in den Kategorien des Mittelalters. Tod und Teufel waren für ihn Wirklichkeit, und alle, die seine Reformation nicht unterstützten, galten ihm als Feinde. Auch das war Luther.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort