Düsseldorf Ricarda Huch - radikal, konservativ und romantisch

Düsseldorf · Vor 150 Jahren wurde die Erzählerin und Historikerin geboren. Aus Protest gegen die Nazis trat sie als Erste aus der Akademie aus.

Es ist schwer zu glauben, dass diese große Dichterin und Denkerin und Forscherin inzwischen zu unseren Vergessenen zählen soll: die vor 150 Jahren geborene Ricarda Huch, die sich gegen Widerstände und Ungerechtigkeiten ihrer Zeit zu behaupten suchte. Die nach Zürich ging, um zu studieren, weil dies in Deutschland damals Frauen noch verboten war. Die Thomas Mann eine der klügsten Frauen Europas nannte. Die 1926 als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste berufen wurde und die 1933 aus Protest gegen den Ausschluss von Alfred Döblin aus der von den Nazis gleichgeschalteten Akademie austrat. Das mag sich intellektuell geradliniger anhören als es letztlich gewesen ist. So ist Ricarda Huch zwar auf Distanz zum sogenannten Dritten Reich gegangen, weil Freunde und jüdische Autoren diskriminiert und verfolgt wurden. Ihr Verhalten war daher eine Reaktion auf das Unrecht aus dem unmittelbar erfahrbaren Lebensumfeld. Eine Widerstandskämpferin ist Ricarda Huch aber nie gewesen.

Die Nazis glaubten zu Beginn ihrer Diktatur sogar, in der Historikerin und naturalistischen Erzählerin eine Weggefährtin zu haben. Hatte sie nicht über eine Tradition des deutschen Reiches geschrieben, die "dauerhaft fortwirkt" mit Prägungen, die sich schon in den Anfängen eines Volkes als wirkungsmächtig erwiesen hatten? Zudem hatte sie in ihrer Triester Zeit Ende des 19. Jahrhunderts die Geschichte der Einigung Italiens erarbeitet - sehr zum Gefallen der dortigen Faschisten.

Ihr Akademie-Austritt wurde von den Nazis zunächst auch verschwiegen und als eine Art Fehltritt gedeutet. Zumal Ricarda Huch nicht "auffällig" wurde und sich in Jena in die Innere Emigration zurückzog. Hitler und Goebbels gratulierten ihr noch zum 80. Geburtstag, doch was sie später weit schwerer belasten sollte, war 1944 die Annahme des Wilhelm-Raabe-Preises. Dotiert mit 30 000 Euro, eine steuerfreie Gabe des NS-Regimes.

Weil Ricarda Huch nicht ideologisch dachte, blieb sie ein Mensch ihrer Zeit - die sie durchlebte, sich ihr widersetzte und an ihr litt. Auch darin wird eine Welterfahrung sichtbar, die man fast eine deutsche Erfindung nennen könnte: die Romantik. Es ist daher bezeichnend, dass aus ihrem umfänglichen Werk mit zahlreichen historischen Aufsätzen und Novellen, Romanen und Gedichtbänden ein fast 700-seitiges Sachbuch herausragt, dass sich noch heute liest wie ein spannendes Manifest der Moderne und als Analyse einer idealistischen Geisteshaltung: "Die Romantik - Ausbreitung, Blütezeit und Verfall". Dass es 1899 erschien, also zeitgleich zu Freuds "Traumdeutung", mag Zufall sein; sinnfällig ist es allemal.

An etlichen Stichworten wie Novalis, Märchen, Liebe, Ironie, Politik, Ärzte und Lebensläufe beginnt sie Seite für Seite die Epoche zu umfassen, ohne sie zu vereinnahmen oder ihr das Geheimnis zu nehmen. Eine große Ideengeschichte ist dieses Werk, in dem jedes Teil als Abbild des Ganzen zu sehen ist; ein Organismus, bei dem jedes Detail auch erkennbar die Züge des Organismus trägt.

Die Geschichte des deutschen Reiches hat sie festgehalten in Porträts der deutschen Reichsstädte, weil sie Freiheit als Gegensatz zur Zentralisation verstanden hat. Es ging ihr nie um Verallgemeinerung, sondern um das Nicht-Abgeschlossene und das Fortschreitende, um die Idee der Romantik.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort