Neuss/Essen Richard Deacon ist gut in Form

Neuss/Essen · Der an der Düsseldorfer Akademie lehrende Brite zählt zu den bedeutendsten Bildhauern der Gegenwart. Seine oft verblüffende Kunst der Formen-Findung ist jetzt in Neuss und Essen zu sehen.

Richard Deacon (67) macht es den Betrachtern seiner Kunst leicht und schwer zugleich. Leicht, weil er sie nicht mit Geometrie langweilt, sondern ihnen stets etwas aufregend Vertracktes vorsetzt. Schwer, weil die Betrachter ins Stolpern geraten, wenn sie erzählen sollen, was sie gerade gesehen haben. Zum Beispiel in der Neusser Langen Foundation, wo der an der Düsseldorfer Akademie lehrende Bildhauer Objekte aus den zurückliegenden zehn Jahren ausbreitet. Oder nebenan in der Skulpturenhalle von Thomas Schütte, in der seine neueste Produktion versammelt ist. Oder im Essener Museum Folkwang, das Deacon von dessen am wenigsten bekannter Seite zeigt: als Zeichner mit Hang zum Skurrilen. Schließlich ist Deacon Brite.

Seine Kunst bezieht ihren Überraschungseffekt oft daraus, dass Motiv und Material nicht zueinanderpassen. Aneinandergepappte weiße Häuschen wirken, als seien sie aus Karton. In Wirklichkeit aber ist es Keramik. Eine Edelstahlplastik verliert ihre Noblesse, sobald man in ihrem Inneren eine Riffelung erblickt - der Beweis, dass es sich bei dem Material um industrielle Profile handelt. In der Großplastik "Orinoko" verlaufen Kanthölzer parallel nebeneinander und erwecken den Eindruck, als fließe das Holz. Warum? Weil der Künstler und seine Fachleute die Hölzer unter Dampf so gebogen haben, dass diese rhythmisch in sich verdreht sind.

Richard Deacon ist nicht nur ein rastloser Formen-Erfinder in einer Zeit, da man glaubt, in der Kunst sei alles schon einmal dagewesen. Er ist auch ein großer Irritator, dazu ein Liebhaber von Endlos-Schleifen. Die am Boden liegende keramische Arbeit "Grenzverkehr" scheint in ihrem Mäandern eine solche Schleife ohne Anfang und Ende zu sein. Bei genauem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die vermeintliche Schleife tatsächlich aus mehreren Einzelschleifen besteht, die einander nicht berühren.

So schreitet man in den hohen Hallen der Langen Foundation von einem Wunder zum nächsten und begreift allmählich den Titel der Ausstellung, "On the other side". Deacon sucht ständig Klischees zu entkommen und auf dem Terrain des Unvorhersehbaren Zeichen zu setzen. Bei seinen Objekten mit der Bezeichnung "Assembly" merkt er an, dass es um Gesellschaft, um Kommunikation gehe. Doch es scheint, als ziele er bei jeder Plastik allein darauf, Grenzen zu überschreiten.

Seine jüngsten Produkte sind nebenan in der Skulpturenhalle zu sehen: "Flats", flache, scheinbar zufällig über den Boden verteilte Keramikarbeiten, die mit farbigen Flecken bemalt sind. Die "Customs", Skulpturen aus miteinander verbundenen Metallröhren, die marmoriert wirken und silbrig glänzen, bilden dazu ein vertikales Gegengewicht.

Die Skurrilität, die manchen von Deacons Objekten innewohnt, spricht noch deutlicher aus seinen Zeichnungen und Drucken. Das Museum Folkwang hat sich dieser Genres angenommen und sie mit ausgewähltem Dreidimensionalen garniert. Im Zentrum steht "Die Welt ist klein", ein Tisch mit 130 weißen und ockerfarbenen Tonmodellen, die an Türme oder an die sich in statischen Drehbewegungen aufschwingenden Plastiken von Tony Cragg erinnern. Ringsum hängen gesammelte Verschrobenheiten wie die Heliogravur "Ein merkwürdiger Apfel" an der Wand: ein auf einer Vase ruhendes, schrundiges Gesicht mit einer Knollennase. Auf die Außenseite des Pavillons im Museum hat Richard Deacon seine Mitarbeiter mit farbiger Kreide ein Gitter auftragen lassen: "Großer Bildschirm".

Deacons grafisches Werk mit seinen Collagen, Drucken und kombinierten Tusche- und Bleistiftzeichnungen erscheint noch ein Stück vielfältiger als das plastische, zeugt vor allem in den frühen Arbeiten von noch mehr Experimentierfreude.

Man sollte denken, dass einer wie Richard Deacon, der den Kunstbetrieb weder mit Sensationen noch mit Gesellschaftskritik füttert, ein Dasein als Außenseiter führt. Weit gefehlt. Los Angeles und Toronto, Paris und Havanna, Tokio und Mexico City sind Ausstellungsstationen in seinem Leben, den angesehenen Londoner Turner Prize bekam er schon 1987.

Neue Formen braucht die Welt, und Deacon wird nicht müde, sie zu liefern.

(B.M.)
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