Romane über existenzielle Krisen Die Krisen der Frauen ab 40

Düsseldorf · Eine Reihe von Romanen in diesem Frühjahr erzählt von Frauen, die in ihrer Lebensmitte in existenzielle Krisen geraten. Überdruss oder die Sehnsucht nach Romantik treibt sie in Abenteuer. Manche gehen böse aus.

Sie sind im Leben angekommen. So sagt man doch, wenn sich Frauen ab 40 fest an einen Partner gebunden haben. Wenn sie Kinder großgezogen, sich in ihrem Beruf weiter abgestrampelt, es zu ein bisschen Wohlstand und Sicherheit gebracht haben - und dann der Überdruss einsetzt, das Unbehagen, die Unzufriedenheit. Hinterrücks.

Bisher war das kaum ein literarisches Thema. Stagnation ist nicht fesselnd. Wenn auch Größen wie der russische Dramatiker Anton Tschechow vorgemacht haben, welche tragische Qualität der Sehnsucht nach einem erfüllteren Leben innewohnt. In "Drei Schwestern" etwa verbannt er drei Frauen in die russische Provinz und lässt sie vom vermeintlich aufregenderen Dasein in Moskau träumen, während ihr Leben zerrinnt. Tschechows Schwestern sind noch abhängig vom Willen und dem wirtschaftlichen Geschick der Väter, Brüder, Ehemänner, die ihren Handlungsradius bestimmen. Um diese äußeren Zwänge geht es heute nicht mehr. Dafür um die innere Abhängigkeit von Frauen, die geliebt werden wollen. Oder die sich damit zufrieden geben, die Karriere ihre Männer zu begleiten, und sie behandeln wie verwöhnte Jungs. Bis die sich auch so verhalten.

Sibylle Berg erzählt davon in ihrem neuen Roman "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand". Chloe ist mit einem Regisseur verheiratet, der mal "einen tollen Brecht" inszeniert hat. Danach begann der Abstieg. Chloe selbst hatte keine Ambitionen, ihre intellektuelle Erweckung verdankt sie ihrem Mann, also folgt sie Rasmus nun auch in die Bedeutungslosigkeit. Bei der Spötterin Berg klingt das so: "Jeden Morgen zwischen drei und vier denke ich in Ermanglung eigner Probleme über Rasmus' Scheitern nach, erforsche die Straße seines Erfolgs, untersuche sie auf die Abzweigung hin, in die er irgendwann falsch abbog und die in einer Sackgasse endete. Rasmus schnarcht leise, ich decke ihn zu, streiche ihm über die Wange. Mein armer gedemütigter Mann. Er tut mir so leid, in seinem Misserfolg, in seiner Unfähigkeit, einen Beruf als das zu sehen, was er ist: ein Zeitvertreib im Warten auf den Tod." Bald sucht diese Frau nach erotischen Abenteuern. Zufrieden machen wird sie das nicht. Chloe ist zu bequem und zu wenig demütig für das Glück.

Berg ist nicht die einzige Autorin, die in diesem Frühjahr die totale Ernüchterung von Frauen jenseits der 40 darstellt. Auch die Hamburgerin Katrin Seddig erzählt in "Eine Nacht und alles" von einer verheirateten Mittvierzigerin, die ihr vertrautes, wohlabgesichertes Leben mit dem Gymnasiallehrer-Gatten nur noch als satte Langeweile wahrnehmen kann, als Vorgeschmack des Todes. Auch bei Seddig sollen erotische Eskapaden den Mangel an Lebenssinn und Abenteuer wettmachen. Auch bei dieser Autorin wird der Ehemann gern im Schlaf beschrieben, als wehrloses Opfer, sein "liebes, großes Gesicht, das gar nicht dick ist, nur groß und etwas rau an den Wangen". Per muss zwar nicht gegen den beruflichen Abstieg kämpfen, aber gegen die Zunahme seines Gewichts. Er beginnt zu laufen, kauft sich jugendliche Turnschuhe, macht sich lächerlich mit seinen Verjüngungsversuchen - dass darin eine Liebeserklärung steckt, bleibt Irene lange verborgen.

Seddig und Berg schicken ihre Frauen los, um ihr überraschungsarmes Leben an der Seite müder Männer zu zerstören. Sie demütigen ihre Gatten, fordern sie heraus. Sie nehmen sich die Freiheiten, die sich früher nur Männer nahmen. Doch die moralische Grenzüberschreitung, die Emanzipation von der Rolle, in die sie unbedacht und widerstandslos hineingeraten sind, ermöglichen nur scheinbar ein befreites Leben. Im fremden Terrain jenseits der Ehe werden die Frauen zurückgeworfen auf sich selbst, müssen dort die eigenen Leerstellen erkennen. Erschöpft kehren sie zurück. Fontanes Effi Briest musste für ihren Ausbruch aus der ehelichen Enge noch mit Verbannung und gebrochenem Herzen zahlen. Heute ist der Preis für die Frau die Resignation. Sie muss selbst erkennen, dass der Ausbruch aus dem Alltag nur äußerlich ist. Dass Erfüllung nur im Menschen selbst wachsen kann.

Darum braucht es auch keine bürgerliche Enge, um Frauen in die Krise zu stürzen. Die in Berlin lebende Autorin Ulla Lenze entlässt die Hauptfiguren in ihrem Roman "Die endlose Stadt" in die Freiheit der Fremde: Holle ist Künstlerin, lebt gerade in Istanbul, Theresa geht als Journalistin nach Mumbai. Äußerlich sind sie emanzipierte, ungebundene Frauen, die sich in die Welt wagen, sich selbst verwirklichen in anspruchsvollen Jobs. Doch beide sind liebeshungrig, global vereinsamt, innerlich abhängig von Männern. Und als sie auch diese Bande kappen, driften sie ab. Zu viel Freiheit wird unerträglich, Lenzes Frauen sind der Freisetzung nicht gewachsen.

Auch die Wienerin Doris Knecht benötigt keinen ehelichen Frust, um den freien Fall einer modernen Frau zu inszenieren. Marian ist Modedesignerin, erfolgreich, attraktiv. Doch unter der emanzipierten Oberfläche schlummern alte Sehnsüchte nach Sicherheit, Geborgenheit, der Hochzeit in Weiß. So vertraut sie dem falschen Mann. Dann die Wirtschaftskrise, und auf einmal haust die Erfolgsfrau in einer Hütte auf dem Land und hungert. Knecht lässt in "Wald" alle Landlust-Klischees kippen. Der Ausstieg aus dem stressigen Alltag einer Großstädterin schenkt keinen inneren Frieden, sondern gerät zum bitteren Überlebenskampf. Auch dieser Entwicklungsroman erzählt von der existenziellen Ernüchterung einer Frau. Noch scheinen die rosaroten Mädchenträume so tief verwurzelt, dass die Autorinnen dieses Frühjahrs sie mit aller Kraft herausreißen müssen. Auch wenn's schmerzt.

(RP)
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