Klassiker in Duisburg Ronja Räubertochter kann auch Oper

Duisburg · Astrid Lindgrens Klassiker gibt es jetzt auch als Musiktheater: Im Duisburger Haus der Rheinoper wurde Jörn Arneckes Vertonung uraufgeführt. Zahlreiche Schüler verfolgten die Premiere mit größter Aufmerksamkeit.

"Ronja Räubertochter": Die Uraufführung in Duisburg
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Die Uraufführung von "Ronja Räubertochter" in Duisburg

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Wie sieht's denn hier aus? Das ist ja eine richtige Räuberhöhle!

Dieser in Kinderohren ungern gehörte Mahnruf ordnungssüchtiger Eltern wäre bei der gestrigen Opernpremiere in Duisburg als Schuss im Ofen verhallt. Im dortigen Theater erlebten viele Schulkinder eine Räuberhöhle vom Allerfeinsten. Ungehobelte Manieren. Flegelhafte Sprüche. Vor Dreck stehende Klamotten. Ordnungssinn gleich Null. Und kein Respekt vor den Eltern.

Das kann nur "Ronja Räubertochter" sein - ist es auch, aber diesmal mit echter Musik auf echter Bühne, mit Sängern, Papierschnee, Tänzern, Geistern und Kunstfellen. Aus dem weltberühmten Buch Astrid Lindgrens ist unversehens allerbestes Musiktheater geworden, denn die Komposition von Jörn Arnecke ist das, was man einen Geniestreich nennt.

Während im Auditorium lauter beste Freunde und Freundinnen noch toben und tuscheln, während der Geräuschpegel im Saale sehr hoch ist, kommt der Dirigent Lukas Beikircher, winkt den Kindern zu und macht mit den prächtigen Duisburger Philharmonikern laut Partitur direkt dämonisches Tamtam. Die Pauken donnern, das Kontrafagott schnarrt, die Streicher zischen, auf der Bühne zucken Blitze - so bekommt man jedes Kinderauge gebannt, und tatsächlich ist das ganze Haus binnen Sekunden mucksmäuschenstill. Und bleibt es.

Das passiert selten bei Kinderopern, die ja nicht immer einen frontalen Zugang zum kindlichen Sensorium bekommen. Arnecke hingegen findet Klänge, die aus dem Moment geboren scheinen und völlig selbstverständlich in ein lebensechtes Räuberland passen. Sie tönen nicht illustrativ, sondern raffiniert, Arnecke verbindet das Kreischende mit dem Melodiösen. Eine Wehmutsklage über den Wald flötet in reinem B-Dur, ein anderes Mal hört man von Ferne eine Variation des Waldwebens in Wagners "Siegfried" oder der Naturlaute in Janáeks "Schlauem Füchslein". Und wenn Ronja und der vom Feind zum Bruder gewordene Birk einander ewige Treue schwören, klingt fast verräterisch ein Takt aus dem ersten Akt der "Walküre" an, da die beiden Wälsungen-Geschwister einander die Augen der Liebe geöffnet haben. Zwar versteht kein Kind diesen Background, aber Wagner wirkt ja bekanntlich schon früh, sofern er in kleinen Dosen verabreicht wird.

Bei solcher Verdichtung der Reize, die auch dank Tatjana Ivschinas zauberhafter Ausstattung irgendwo zwischen "Hänsel und Gretel" und "Harry Potter" angesiedelt scheinen, überkommt selbst coolste Sprücheklopfer und frühreife Fashion Victims im Kinderpublikum die pure Andacht. Jedes Kind will mitkriegen, was aus Ronja wurde. Zwar sind alle opernpädagogisch mustergültig gebrieft, doch die Illusion der Echtzeit ist ungleich stärker. Selbst einige Lehrer wirken wie in ihre Sessel genagelt. Und stellen sich insgeheim die Frage. Warum sind die Kinder eigentlich bei mir nie so ruhig?

Die bekannte Lindgren-Story - die Rechte hatte die Rheinoper nur unter Mühen bekommen können - gerät in Johannes Schmids sorgfältiger Inszenierung nicht auf Abwege. Die Rumpelwichte krabbeln wie missvergnügte Zwerge durchs Unterholz. Die Unterirdischen wehen wie Nachtgespenster aus Bettlaken. Wolfs- und Katzenaugen starren gefährlich durch die Waldesnacht. In der legendären Mattishöhle, wir sagten es schon, hätte jedes städtische Ordnungsamt ein echtes Hygieneproblem. Darüber hinaus ist Schmid klug genug, dass er "Ronja" als Stück für Kinder unangetastet lässt. Er macht kein Strindbergsches Kammerspiel aus der Oper.

Die beiden Hauptfiguren Ronja und Birk sind mit Damenstimmen besetzt, wie bei Hänsel und Gretel. Das sorgt für eine kindgerechte vokale Eintracht, die ja schon in Humperdincks Oper bestach. Hier sind in Maria Kataeva (Ronja) und Heidi Elisabeth Meier (Birk) aber kostbare Stimmen aufgeboten, die im Timbre ausgezeichnet zueinander passen. Torben Jürgens ist der saftige Räuberhauptmann Mattis, Cornel Frey sein markanter Gegenspieler Borka. Marta Márquez und Lisa Griffith gefallen als Lovis und Undis. Zottelige Prügelknaben mit feinen Stimmen bietet der Chor. Und Stefan Wilkening in der Sprechrolle des Glatzen-Per muss man einfach liebhaben.

Der Effekt des Werks ist stark und wird gewiss anhalten. Dazu zählt der Clou mit dem Programmheft: Wer es öffnet, entfaltet es automatisch zu einem Plakat, das - mit der sehnsüchtigen Ronja im grünen Wald - über jedem Kinderbett die Erinnerung ausspricht: So wunderbar kann Oper sein! Und manche Eltern werden jetzt von ihrem Nachwuchs den Satz hören: "Mama, die Räuberhöhle in der Oper muss noch schlimmer aussehen als meine. Können wir uns die mal angucken?"

(RP)
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