Düsseldorf Routiniert: Depeche Mode in Düsseldorf

Düsseldorf · Die britische Band gab das erste von zwei Konzerten in der Esprit-Arena. 43000 Fans erlebten eineneindrucksvollen, aber keinen großartigen Abend. Der schlechte Klang in der Halle verdarb manchem den Genuss. Dass man doch noch zufrieden nach Hause ging, ist dem grandiosen Zugabenblock zu verdanken.

Düsseldorf: Routiniert: Depeche Mode in Düsseldorf
Foto: Endermann, Andreas (end)

Die britische Band gab das erste von zwei Konzerten in der Esprit-Arena. 43000 Fans erlebten eineneindrucksvollen, aber keinen großartigen Abend. Der schlechte Klang in der Halle verdarb manchem den Genuss. Dass man doch noch zufrieden nach Hause ging, ist dem grandiosen Zugabenblock zu verdanken.

Das Konzert war eigentlich schon vorbei, da kehrte Martin Gore alleine auf die Bühne zurück. Der Songschreiber der britischen Band Depeche Mode trug glänzende Weste zur Anzughose. Er schaute aus kajalverschmierten Augen, ein trauriger Clown, ein Engel der Abgründigkeit, und er sang "Home", das tieftraurige Lied über einen, der endlich erkannt hat, wohin er gehört. Das war intensiv, bewegend, und das Publikum wollte nicht, dass Gore den Song beendete, es klatschte, jubelte, versuchte, jede Note aufzubewahren.

Gore verbeugte sich, übergab an Dave Gahan, seinen Sänger, und der beschleunigte den Abend, er brachte das 30 Jahre alte "Just Can't Get Enough", zu dem Andy Fletcher jene hohen Töne aus dem Synthesizer holte, die darin seit Depeche Modes Wende vom Synthie-Pop zum Industrial-Sound lagern. Gahan gab "I Feel You" sowie mit nacktem Oberkörper den Song-Giganten, dieses Getüm, das ihn bei jedem Auftritt hinaustreibt auf den Steg in die Menge: "Never Let Me Down Again".

Rund 43 000 Fans kamen in die Düsseldorfer Esprit-Arena, um Depeche Mode zu sehen, und sie erlebten einen eindrucksvollen, aber keinen großen Abend. Die Gruppe begann stark, der Titel "Black Celebration" von 1986 war ein früher Höhepunkt. Gahan, der sonst immer in Bewegung ist, der bei "A Question Of Time" den Ständer des Mikrofons wie einen Zauberstab schwang und als Rumpelstilzchen um ein imaginäres Lagerfeuer tanzte, verharrte an einer Stelle. Auf den zwei LED-Schirmen, die neben der im Gegensatz zu früheren Tourneen eher minimalistischen Bühne angebracht waren, sah man die Projektion seines Gesichts: Augen geschlossen, gefurchte Züge, Erinnerung an Schmerz. Zwischen seinen Einsätzen zuckte sein Kopf, es war gespenstisch und sehr gut, es war so überwältigend und tragisch. wie dieses Lied von dieser Gruppe live eben sein muss.

Depeche Mode hat in Gahan den charismatischsten Frontmann aller Bands in der Stadion-Liga des Rock, und wer je Songs wie "Enjoy The Silence" hörte, wird diesen Bariton nicht vergessen, sein Glühen, die düstere Verheißung in der Stimme. Nur leider, und das war das Manko des Abends, sind viele der neuen Songs an Gahans Talenten vorbeikomponiert. Der 51-Jährige benötigt das klassische Schema von Strophe und Refrain, er sammelt sich während der Strophen, macht sich bereit. Dann explodiert er bei den Refrains, steckt die Halle in Brand, wirft die Arme über den Kopf, damit nichts im Weg ist, wenn er seine Hüften kreisen lässt. Stücke wie "Goodbye" indes funktionieren so nicht mehr, sie gehören nicht in das Set eines Stadionkonzertes, da brennt nichts, da geht man im Gegenteil in Gedanken bereits durch, was man fürs Wochenende einkaufen muss. Das sind komplexe Kompositionen mit starker Nähe zu Radiohead, sie kommen ohne Refrains aus. Gahan ist der Körper von Depeche Mode, aber "Goodbye" ist Musik für Köpfe. Man kann die Klasse dieser Lieder nur begreifen, wenn man sie in High-End-Sound dargereicht bekommt, aber davon war dieser Abend weit entfernt. Stimme und Schlagzeug wurden nach vorne gemischt, Bässe hingegen erkannte man nur ausnahmsweise als solche im Grundbrummen, das alles Raffinement und jede Nuance verschluckte.

Über weite Strecken war das nicht mehr als ein routiniert gespieltes Konzert, selbst Aufforderungen zum Mitklatschen wurden mit so wenig Nachdruck vorgebracht, dass das Publikum ihnen nur zaghaft nachkam. Depeche Mode veröffentlichen ihre Alben im Vierjahrestakt, an jede neue Produktion schließt sich eine Tournee an. Die Platten liefern dabei den Vorwand für die Konzerte; meist — und so war es auch hier — bekommt man dort keinen Song des Vorgängeralbums mehr zu hören. Depeche Mode arrangieren die Auftritte um die drei Klassiker "Never Let Me Down Again", "Enjoy The Silence" und "Personal Jesus" herum, die bilden den Kern, der Rest ist Verfügemasse.

In Düsseldorf brachte "Personal Jeus" die Wende zum Guten. Der Auftritt verlief bis dahin leidenschaftslos. Magisch werden Abende mit Depeche Mode erst, wenn Martin Gore zur Gitarre oder am Piano singt oder bei Dave Gahan ein Zahnrad im Kopf ausrastet, er auf die Knie geht oder wie bei "Walking In My Shoes" das Wörtchen "My" ins Unendliche dehnt. An diesen Stellen gelangt Depeche Mode nahe an die Perfektion, dann ist der Saal zu gleichen Teilen gefüllt mit Publikums-Euphorie, wichtiger Musik und Künstler-Berauschtheit. Wie es also hätte werden können, und wie es bei dieser Herzensband, die nirgendwo so innig verehrt wird wie hierzulande, genau genommen unbedingt hätte werden müssen, ahnte man bei "Personal Jesus" aus dem Jahr 1989. Depeche Mode schickten dem Stück ein langsames Intro voraus, allmählich erkannte man, was sich anbahnte. Gahan spuckte Zeilen aus dem Refrain zwischen die trägen Töne. Dann herrschte plötzlich Stille, das Licht ging aus, Gahan schrie: "Reach out and touch faith", das Licht ging an, und die Band schleuderte das Lied mit Wucht ins Auditorium.

Kurz danach folgten die Zugaben, sie entschädigten für viele maue Minuten während des Zweieinviertelstunden-Konzerts. Aber: Nur Bands, von denen man Großes erwartet, können enttäuschen.

(RP)
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