Recklinghausen Wenn der Tod mitspielt

Recklinghausen · Uraufführung eines neuen Werkes von Tankred Dorst bei den Ruhrfestspielen.

Gerade tanzen sie noch durch den Raum, flirten, streiten, witzeln, da fährt ihm das Alter in die Knochen. Plötzlich geht er krumm, die Hände zittern und das, was war, was seinen Geist beschäftigt, seine Streitlust geweckt hat, zuckt nur noch als Wortfetzen durch sein Gehirn. Das Leben ist ein Spiel, so lange man jung ist. Alles ist möglich, nichts gewiss, außer der einen Eindeutigkeit, die der junge Mensch verdrängt: dass er sterben muss.

Tankred Dorst ist 90 Jahre alt, er hat mehr als 40 Theaterstücke geschrieben, die meisten entstanden im Dialog mit seiner Frau Ursula Ehler. Und nun haben die beiden ein neues Stück verfasst, das durch den Lebensweg eines Paares spult, vom Kennenlernen und Beisammensein, von Anziehungskräften und Auseinandersetzungen, vom gemeinsamen Kind und der in Wut zerbrochenen Tiffany-Lampe erzählt. Ein Kammerspiel für ein Paar und eine dritte Figur, die erst nur Requisiten anreicht, durch das Bühnenbild streift, sich später als der Tod zu erkennen gibt, der die Lebenden immer begleitet, wenn sie ihn auch lange nicht sehen.

"Das Blau in der Wand" ist ein altersweises, aber keineswegs schwermütiges Werk, das gekonnt mit Auslassungen spielt. Da spürt man die Erfahrung des Autorenpaares Dorst-Ehler. Manches mutete auch ein wenig bieder an, etwa die Anwesenheit des Todes. Doch das Stück berührt. Vor allem in jenen Momenten, in denen das Alter neben die jugendlichen Erinnerungen tritt, die Figuren plötzlich vom Vergessen eingeholt werden und begreifen, dass sie nichts festhalten können, nicht mal das Gedachte. "Zeit, Du rasender Stillstand", zitiert Tankred Dorst sich einmal selbst. Aus dieser Spannung lebt sein Stück, das Szenen aus der Biografie eines Paares herausgreift, melancholisch dehnt, und plötzlich von Zeichen des Alters durchbrechen lässt. Dann redet der Mann wirr oder stürzt. Diese Momente sind Vorboten des Todes, dessen Ungeheuerlichkeit ja auch darin besteht, dass er ein reiches Leben in einen Moment des Nichts zusammenstürzen lässt.

David Mouchtar-Samourai inszeniert leise, nachdenklich, ein wenig brav, aber mit großer Achtung vor dem Text. Heinz Hauser hat ihm eines seiner graphischen Bühnenbilder geschaffen mit aufgespannten Gitterlinien, die einen Raum markieren, in dem es unterschiedliche Fluchtpunkte, diverse Perspektiven gibt. Darin arbeiten sich Karin Pfammatter und Heikko Deutschmann durch das Auf und Ab ihrer Beziehung. Bei Pfammatter gerät das manchmal etwas spröde, Deutschmann spielt mit vielen Nuancen, ist jung wie plötzlich alt überzeugend. Ein anrührender Abend, der ab Oktober am Düsseldorfer Schauspielhaus unter dem neuen Intendanten Wilfried Schulz zu sehen sein wird.

(dok)
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