Salzburger Festspiele Salzburg feiert die Soprangöttin

Salzburg · Cecilia Bartoli triumphiert in Bellinis Oper "Norma" bei den Festspielen.

 Salzburg feiert Cecilia Bartoli als Norma.

Salzburg feiert Cecilia Bartoli als Norma.

Foto: Michel/Salzburger Festspiele

Festspiele erinnern ein bisschen an Pyramiden. Es gibt dort etliche hochrangige Aufführungen; die sind indes das Fundament, auf dem sich alles nach oben steigern lässt. Man findet Abende mit noch höherem Glanz, noch mehr Opulenz. Doch sie werden weniger, und die Luft wird dünner. Zudem gibt es ein geheimes Ranking, zu welchen Events die Extravaganz der Garderobe erneut gesteigert werden muss. Gradmesser sind die Kartenpreise und die Dynamik des Schwarzmarktes. Je mehr eine Karte kostet, desto mehr scheint die Veranstaltung wert. Da möchte sich niemand als unwürdig erweisen.

Damit wären wir bei der Salzburger Premiere von Bellinis Oper "Norma". Willkommen auf dem Gipfel der Pyramide: Die Titelpartie singt Cecilia Bartoli. Bellini spielt vom Rang her einige Ligen unter Mozart und Verdi, aber das ist dem Publikum egal, denn hier singt eine Primadonna, die mit einem Freischein auf Koloraturen, Spitzentöne und weibliche Hysterie winkt. Außerdem gibt es eine berühmte Arie namens "Casta Diva", in der sich eine singende Soprangöttin und eine besungene Mondgöttin gleichsam auf Augenhöhe begegnen. Mit Bartoli könnte nur Anna Netrebko konkurrieren, doch die ist stimmlich in einem anderen Fachbereich beschäftigt.

Niemand im Auditorium interessiert sich ernstlich dafür, dass in John Osborn als Pollione ein großartiger Tenor mitwirkt, der sich nur auf die Zehenspitzen zu stellen braucht, um das hohe C vom Baum zu pflücken. Niemanden juckt es, dass Rebeca Olvera eine verschattete Adalgisa ist, deren schmale Stimme nicht geeignet scheint, einer Priesterin (Norma) den Geliebten (Pollione) auszuspannen. Kaum jemand fragt auch nach dem tieferen Sinn der Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier, die das mythologische Umfeld der Oper in eine vage Moderne umsiedeln. Eine offensivere Inszenierung würde zeigen, dass Normas Psychosen - sie droht, ihre Kinder zu ermorden - eine Gefahr für ihre Umwelt darstellen und eine Unterbringung in der Geschlossenen erfordern.

Nein, im Zentrum der Neugier steht einzig Cecilia Bartoli, die ihre Tugenden abermals wie Girlanden aufhängt: Perlenketten aus Koloraturen, Flüge ins Dreigestrichene, unendliches Legato, Inbrunst des Ausdrucks. Um sie schwebt ein Spiralnebel der Einzigartigkeit, weswegen der Einwand wie allzu nüchterne Inventur wirkt, dass ihr Vibrato in der Höhe zuweilen den Zielton verunklart; sie schießt dann schier aus Begeisterung übers Ziel hinaus.

Giovanni Antonini am Pult des Orchestra La Scintilla tut alles, um Bellini aufzuwerten. Er schneidet die Akkorde ruppig zu, aquarelliert den Sound, stiftet heilige Ruhe, rührt Farben an. Trotzdem wirkt das Einerlei der Musik wie klare Brühe mit ein paar Markklößchen drin. Wenn indes eine Priesterin wie Bartoli das Serviermädchen gibt, wird auch aus einer Terrine reiner Luxus. - Unbeschreiblicher Jubel.

(RP)
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