Salzburg Klaviergigant im Dämmerlicht

Salzburg · Salzburg: Symphonien von Gustav Mahler und ein Konzert des großen Grigory Sokolov.

Die hiesigen Festspiele leben nicht von Oper und Theater allein. Die Konzerte mit den bedeutenden Solisten und Orchestern sind ein ebenso wichtiges Instrument der Kundenbindung. Sogar Ensembles der B-Klasse können sicher sein, vor vollem Saal zu spielen, denn die Festspielgäste müssen ja die Lückentage zwischen ihren Opern- und Theaterbesuchen stopfen. Nicht jeder dürfte freilich mit Hochstimmung zu einem Konzert des ORF-Orchesters gehen, in dem ein gigantisches modernes Werk von Pierre Boulez geboten wird. Oder doch?

"Rituel" für acht Orchestergruppen ist für ein theatralisches Paradies wie die Salzburger Felsenreitschule wie geschaffen. Dirigent Cornelius Meister thront im Zentrum des Raums wie eine mächtige Spinne, deren Netz einzig aus Blicken und Anweisungen gewoben ist. Sie gelten den Musikern auf acht Podien, die ihre Einzelfarben nach strengen Gesetzen mischen, bis der Raum von allen Seiten widerhallt.

Das Ergebnis ist faszinierend rhythmisch; den Hörer umschwirrt das Flirren, Beben, Fauchen und Tosen einer bedeutenden Komposition. Das begreift jeder. Hochstimmung. Bei Symphonien von Gustav Mahler ist jedes Auditorium animiert. Neben Beethoven ist Mahler derjenige Orchestersprachler, dessen Werke durch heftige Umschwünge der Erzählebenen faszinieren. Diese Verwandlungen übertreibt Meister bei der 1. Symphonie D-Dur.

Ihm ist bereits hier nach dem Endzeitlichen, nach dem Abschiedsgesang, nach dem verbissenen Verweilen. Meister will zu viel - und bekommt von der Musik nur wenig zurück. Und das ORF-Orchester ist wahrlich kein großes Mahler-Orchester. Es fehlt auch an Akkuratesse.

Das Budapest Festival Orchester tritt unter Iván Fischer mit Mahlers Vierter an. Fischer macht aus dem zarten Werk ein Saftgulasch nach Szegediner Art; das Orchester spielt beinahe derb. Das ist ungewohnt, aber sympathisch. Der langsame Satz atmet zum Glück in aller Ruhe ein und aus. Leider versemmelt Miah Persson das finale Sopran-Solo durch Schärfen und verwaschene Aussprache.

Wie ein Klaviertitan seinem Publikum das Leben schwermachen kann, zeigt uns Grigory Sokolov. Er beginnt um 21 Uhr, dimmt das Licht auf Dämmer, spielt Versonnenes von Bach (Partita B-Dur), Beethoven (Sonate op. 10/3) und Schubert (a-moll-Sonate, Moments musicaux) - und tut nichts, um das Auditorium bei Laune zu halten. Er wählt geruhsame Tempi und macht wie immer einen unfrohen Eindruck. Man muss kämpfen, um wach zu bleiben.

Da Sokolov allerdings einer der größten Pianisten der Gegenwart ist, verlässt man den Saal erschöpft, aber glücklich.

(RP)
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