Schwarzes Gold

Innerhalb eines Jahres haben sich die Schallplattenverkäufe nahezu verdoppelt. Was ist dran an der Wiederkehr des Vinyls?

Fast jede Bewegung bringt eine Gegenbewegung hervor. Slowfood ist eine Reaktion auf Fastfood, die Landlustidylle eine Antwort auf die Urbanisierung. Und wenn Musik digitalisiert, heruntergeladen und gestreamt wird, wieso sollte es nicht auch eine Renaissance der Schallplatte geben, quasi die Entschleunigung des Hörens? Seit 1991 wurde nicht mehr so viel Geld für Vinyl ausgegeben wie im vergangenen Jahr. Doch deshalb gleich von einem Comeback zu sprechen, ist zu hoch gegriffen. Denn Plattenverkäufe machen nur etwas über vier Prozent am Gesamtumsatz des deutschen Musikmarkts aus. Anders gesagt: Die Nische wird größer, bleibt aber eine Nische.

Dabei war diese Nische einmal der Standard gewesen. Seitdem ab Mitte des 19. Jahrhunderts Schall auf Wachsplatten aufgezeichnet und Musik damit unabhängig von Ort und Zeit wiedergegeben werden konnte, waren Platten die wichtigsten Tonträger. Wachs wurde von Schellack und schließlich von Vinyl abgelöst. Erst die CD konnte der Platte den Rang ablaufen. Die Digitalisierung erlaubte die Komprimierung von Liedern in mp3-Dateien und damit den Download. Heute ist für viele Streaming die verbreiteste Form des Musikhörens.

Und da gehen oft die Glaubenskämpfe los: analog vs. digital, Plattensammlung vs. Playlist, Coverkunst vs. Dateiname, warmer Klang vs. kalte Kompression, Einzelstück vs. Massenware, Knistern vs. Codecfehler. Eine Platte zu hören, bedeutet, ein Album aus dem Schrank zu nehmen, die Platte aus der Hülle zu nehmen, auf den Teller zu legen, die Nadel in die Rille zu setzen - lauter physische Aktivitäten, die beim digitalen Hören entfallen. Dort genügt ein simpler Klick, um Lieder erklingen zu lassen. Dazu steht die komplette Musikgeschichte jederzeit per Server zur Verfügung.

Vinyl dagegen nimmt viel Raum ein. Der digitalen Unsichtbarkeit tritt eine seh- und fühlbare Schwere entgegen, Hülle und Tonträger verleihen der an sich nicht fassbaren Musik einen Körper. Nicht ohne Grund gilt die Grammzahl als ein Qualitätsmerkmal bei teuren Reissues. Vinyl bedeutet zudem Besitz, Stream nur Leihen, das mit dem Ende des Abonnements die Musikbibliothek verschwinden lässt.

So ist die Schallplatte auch als Statussymbol zu verstehen - für Sammler, für die junge Generation, in der Hipsterkultur. Es soll Kunstliebhaber geben, die DJs engagieren, damit diese ihnen eine geschmackvolle Plattensammlung kuratieren. In einem solchen Umfeld funktionieren Vinylplatten ähnlich wie Coffee Table Bücher - weniger geht es dabei um den Nutzen als um das Ausstellen des eigenen, vermeintlich guten Geschmacks und damit der Imagepflege. Dazu passen die Zahlen einer Studie, nach der fast die Hälfte aller Plattenkäufer die gekauften Alben nicht ein einziges Mal hören und weitere sieben Prozent nicht einmal einen Plattenspieler besitzen.

Die Industrie hat auf die veränderte Wahrnehmung des fast zwei Jahrzehnte als antiquiert geltenden Vinlys reagiert. Das wieder erwachte Interesse gibt den Firmen Gelegenheit, ihre Backkataloge ein weiteres Mal zu verwerten. So startete Sony Music die Aktion "#MyVinylLove - Schwarzes Gold", die auf 180-Gramm-Nachpressungen von Klassikern aufmerksam machen soll. Neue Vertriebswege erschließen auch neue Kaufgruppen. In Elektromärkten stehen Justin-Bieber-Platten neben aufwendig gestalteten Led-Zeppelin-Boxen und Velvet-Underground-Alben zu entsprechenden Preisen.

Die erhöhte Nachfrage führt zu Engpässen in der Produktion. Nach dem Siegeszug der CD Ende der 1980er Jahre verschwanden Schallplatten aus den Läden und Labels, viele Pressewerke schlossen oder sattelten auf CDs um. Kleinere Labels können heute ihre Platten oft nur mit Verzögerung herstellen lassen, weil die Werke von den Majors belegt sind. Einer großen Kritik sieht sich deshalb der Record Store Day ausgesetzt. Dieser wurde ursprünglich zur Unterstützung von kleinen Plattenläden und der Bewahrung des Kulturguts Schallplatte ins Leben gerufen. Mittlerweile bringen viele Firmen eigens dafür konzipierte Sammlerobjekte heraus, die - künstlich verknappt - mit hoher Gewinnspanne verkauft werden sollen.

Der gestiegenen Erlöse wegen wurden in den wichtigen Musikmärkten spezielle Vinylhitparaden eingeführt. Schaut man sich die englischen Vinylcharts an, finden sich dort neben aktuellen Alben von The xx und den Flaming Lips viele Klassiker - Fleetwood Macs "Rumors" ebenso wie "The Dark Side of the Moon", "Nevermind" oder die "Greatest Hits" von Queen. In diesen Tagen erscheinen alte Alben von Portishead, Massive Attack oder Elliott Smith auf Platte. Wenig deutet darauf hin, dass diese Dynamik - die Übertragung des Vergangenen in die Gegenwart - nachlassen könnte. Die kleine Nische wird also weiter wachsen.

(RP)
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