Rock/Pop Rückblick Auf Das Jahr 2014 So happy, so supergeil

Die Phänomene 2014 sind die von gestern: Schlager, Sprechgesang und Stars, die für die gute Sache singen. In Europa sorgt eine Frau mit Bart für Aufregung, und alle müssen U2 hören. Zudem nennen unsere Autoren ihre persönliche Alben-Top-Ten.

Ein Mann mit übergroßem Mountainhut namens Pharrell Williams verkündet singend, dass er glücklich ist. Und ein ganzes Land tanzt dazu und stellt die Videos davon ins Netz. Ein anderer Mann, älter schon und mit grauem Bart - Friedrich Liechtenstein - lässt sich in einem Einkaufswagen durch den Supermarkt schieben und berauscht sich an Dorsch und Fritten. "Happy" und "Supergeil" - so war das Musikjahr 2014.

Denn Musik ist frei verfügbar. Jeder streamt per Flatrate, die gesamte Popgeschichte liegt zum Schnäppchenpreis in der Cloud. U2 genügt das nicht, weshalb die Iren ihr Album "Songs of Innocence" als Teil einer Werbeaktion ungefragt in jede iTunes-Bibliothek laden. Der Shitstorm ist so groß, dass Bono umgehend Abbitte leisten muss. Doch auch ein Gegentrend zum Verramschen von Musik findet statt. Aufwändige Boxsets verkaufen sich prächtig, der Vinylabsatz steigt um die Hälfte. Am konsequentesten ist der Wu-Tang-Clan, der nur ein Exemplar seines Albums herstellt und dafür sagenhafte fünf Millionen Dollar verlangt.

In Deutschland stammt das erfolgreichste Lied aus dem letzten Jahr. Helene Fischers "Atemlos durch die Nacht" funktioniert fehlerfrei auf Singlepartys, Gala-Abenden und der Fanmeile. Überhaupt Fußball. Eine Menge Lieder hatten sich als Soundtrack für die WM beworben. Erwählt wird Andreas Bourani, weshalb in 50 Jahren noch die Szene, in der Mario Götze den Ball von der Brust auf seinen Fuß abtropfen lässt und dann ins Tor zirkelt, mit den Worten von "Auf uns" begleitet sein wird.

Weltmeister werden auch die Kasseler Folk-Elektroniker Milky Chance mit "Stolen Dance", die damit die internationalen Charts erobern. Auf der Suche nach dem neuen "One Day/Reckoning Song" remixen deutsche DJs alle sentimentalen Lieder weg, die nicht schnell genug das Weite suchen. Gewinner wird Robin Schulz, der gleich zweimal mit "Prayer in C" und "Waves" punkten kann. Schluss hingegen ist für die Düsterschlagerbarden von Unheilig.

Tokio Hotel missglückt das Comeback. Denn abgesehen von One Direction tummeln sich die neuen Teeniestars jetzt auf Youtube. Manche singen, manche parodieren, andere machen Hauls oder Let's-Play-Videos. Wer damit nichts anfangen kann: keine Sorge. Eine Jugendkultur ist wirklich nur dann eine Jugendkultur, wenn Über-Zwanzigjährige die Faszination daran nicht verstehen.

Verständlich bleibt der Erfolg der drei Rockkapazitäten Maffay, Westernhagen und Grönemeyer, die mit bewährtem Sound ihre Anhänger zufriedenstellen. Grönemeyer spielt zudem im letzten Film des viel zu früh verstorbenen Philip Seymour Hoffman mit.

So unterschiedlich er auch ist - Rap ist wieder mal der Sound der Stunde. Von den Fantastischen Vier, Jan Delay und Cro über Clueso, Marteria und Kool Savas zu Farid Bang!, Shindy und Kollegah: Alles Nummer Einsen. Der Offenbacher Haftbefehl schafft es nicht dahin, dafür aber in die Feuilletons, wo man ihn für seinen kulturgrenzensprengenden Umgang mit verschiedenen Sprachen feiert. Von der Banalität des Bösen im Land von HoGeSa rappt das Trio Antilopen Gang in "Beate Zschäpe hört U2".

Der Inbegriff des Bösen ist für einige ein Mann als Frau mit Bart. Die meisten aber finden das bemerkenswert und machen Conchita Wurst zur Gewinnerin des Eurovision Song Contest. Überhaupt ist es das Jahr der Frauen. Während Miley Cyrus jede Sekunde ihres Lebens instagramt, entwerfen Sängerinnen wie Lorde, Nicki Minaj, Sia, Charli XCX, Iggy Azalea oder Ariana Grande ganz unterschiedliche, eigenwillige Versionen von Mainstreampop. Über ihnen allen schwebt Taylor Swift. Erst bringen sie fälschlicherweise veröffentlichte acht Sekunden Rauschen an die Spitze der Downloadcharts. Danach verkauft sich ihr Album "1989" wie geschnitten Brot und ist neben Coldplay und Ed Sheeran der Megaseller des Jahres. Zugleich lässt Swift all ihre Lieder aus den Streaming-Angeboten nehmen. Die Begründung: Musik ist ein künstlerisches Gut und deshalb ist es falsch, diese unter Wert anzubieten.

Überraschend kehren Pink Floyd zurück. 20 Jahre nach dem letzten Album veröffentlichen die Prog-Rocker ein neues Werk. Doch mehr als über die Musik wird darüber gestritten, ob und wie kitschig das Cover ist.

Ende des Jahres klingelt Bob Geldof bei Campino durch, der daraufhin halb Musikdeutschland ins Studio bittet, um gegen die Ebola-Epidemie "Do They Know It's Christmas?" mit deutschem Text neu aufzunehmen. Viele klatschen, noch mehr kaufen, manche wie Jan Böhmermann kritisieren scharfzüngig.

Und abseits des breiten Stroms? Da gelingen Alt-J, The War On Drugs und Caribou die Platten des Jahres. Flying Lotus begeistert mit Jazzfusion, Interpol mit Shoegaze, und The Notwist knüpfen an ihr Meisterwerk "Neon Golden" an.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort