Essen Spontane Fotokunst

Essen · Im Museum Folkwang in Essen wird die deutsche Geschichte der Fotografie ab den 70ern neu erzählt.

Besser hat eine Schule nie wieder für sich geworben: mit ein paar Gläschen sonntagmorgens. "Bei Bier und Wein erklären drei Dozenten und zwei Assistenten, wie man richtig fotografiert", hieß es in der Ankündigung einer Berliner Zeitung im September 1976. Die Werkstatt für Photographie hatte gerade in der Volkshochschule am Checkpoint Charlie eröffnet und "zwischen neun und zwölf Uhr" zum ersten "Foto-Frühschoppen" geladen. Zwar ist nicht überliefert, wie viele Menschen der Einladung folgten. Die Kurse der neuen Schule aber waren von Beginn an überbucht.

Vom Einfluss der Werkstatt erzählen nun drei Ausstellungen - in Berlin, Hannover und auch im Museum Folkwang in Essen. "Das rebellische Bild" heißt die Ausstellung im Folkwang, die zur Schau stellt, wie dort damals eine neue Fotografie ausprobiert wurde - und was das mit Berlin zu tun hatte. Denn da prallten eigentlich Welten aufeinander, so jedenfalls scheint es auf den ersten Blick: Hier die Westberliner Volkshochschule, die sich ab 1976 in der dritten Etage eine Werkstatt für ambitionierte Hobbyfotografen leistete. Dort die damals schon professionalisierte Folkwang-Hochschule um Foto-Papst Otto Steinert. Es gibt Bilder aus der Zeit, auf denen sich Studenten zur Bildkritik um den Zigarre rauchenden Steinert scharten, sein Urteil abwartend. Als der große Lehrer 1978 jedoch starb, klaffte plötzlich eine Lücke in der Lehre. In Essen begannen sie nach neuen Perspektiven zu suchen und fanden sie in Berlin.

Denn dort hatte sich die Foto-Werkstatt nach kürzester Zeit einen Namen gemacht, sie versprach "nach vier bis fünf Jahren intensiver Arbeit an der Volkshochschule den Erfahrungsschatz eines ausgebildeten Berufsfotografen" und zwar ohne Aufnahmebedingungen. Man war dabei, das Medium Fotografie zu demokratisieren. Konventionslos praktizierte man zudem den Umgang mit der Kamera. Technische Raffinesse rückte in den Hintergrund. Was zählte, war das Bild als persönliches Ausdrucksmittel.

Dafür stand vor allem Michael Schmidt, Begründer und erster Leiter der Berliner Werkstatt und wenig später auch Hochschuldozent in Essen. Dass er dort nie Professor wurde, lag am fehlenden Uni-Abschluss. Schmidt war ein Autodidakt, der die Fotografie einer Laufbahn als Polizist vorgezogen hatte. Im Folkwang sind nun Aufnahmen zu sehen, die Schmidt voller Empathie von Arbeitsmigranten in Deutschland gemacht hatte.

Immer mehr Fotografen pflegten damals, auf große Ausrüstungen zu verzichten. Fotografiert wurde nun mit handlichen und sehr gewöhnlichen Kameras, und wohl auch aus einer gewissen Spontaneität heraus. Die Ästhetik der Distanz wich unglaublicher Nähe. Uschi Blume etwa fotografierte im Berliner Club "Music-Hall" junge Nachtschwärmer und fing die Sehnsucht ein. Blume, die in Essen bei Schmidt gelernt hatte, trieb sich nun also in Berlin herum. 1981 widmete ihr die Werkstatt für Photographie schließlich eine Einzelausstellung.

Zu Ausstellungen und Auftritten luden die Berliner aber nicht nur die hiesigen Künstler ein, sondern auch die Vorbilder aus den USA, zu deren Workshops dann auch die Essener anreisten. Robert Frank und Stephen Shore kamen, auch Larry Clark, dessen berühmt-berüchtigte Fotografien junger Heroinabhängiger ein Beispiel schonungsloser Distanzlosigkeit waren und sich im Folkwang-Museum nun bestens einfügen. Den städtelandschaftlichen Aufnahmen der US-amerikanischen "New Topographics" werden indes Bilder aus der bundesrepublikanischen Mehrfamilienhaus-Wirklichkeit entgegengesetzt.

Welchen Einfluss die Berliner Schule hatte, zeigt das Beispiel Andreas Gursky: Auch einige frühe Arbeiten des Künstlers, der zum Weltstar wurde, haben die Ausstellungsmacher untergemischt. Gursky hatte anfangs bei Michael Schmidt gelernt, bevor er sein Studium in Düsseldorf fortsetzte. In Essen ist mal nicht sein großformatiger Bildbearbeitungs-Bombast zu sehen, sondern es sind Aufnahmen von Reihenhäusern und Sonntagsspaziergängern in ganz kleinen Rahmen.

(kl)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort