Begegnung mit einem Weltstar Ein Tag bei Sting in Malibu

Los Angeles · Nächste Woche spielt Sting in Düsseldorf. Um die Wartezeit bis dahin zu überbrücken, erinnern wir uns an einen Tag im Juni 2011, als er exklusiv für unsere Zeitung die Türen seines Ferienhauses am Strand von Malibu öffnete. Die Promisiedlung wurde bewacht wie ein Hochsicherheitstrakt. Über eine Begegnung mit einem tiefenentspannten Weltstar.

 Im Juni 2011 traf unser Redakteur Philipp Holstein Sting in seinem Haus in Malibu. Nächste Woche geht er auf sein Konzert in Düsseldorf. (Archivbild)

Im Juni 2011 traf unser Redakteur Philipp Holstein Sting in seinem Haus in Malibu. Nächste Woche geht er auf sein Konzert in Düsseldorf. (Archivbild)

Foto: Lucie

Am kommenden Dienstag, den 4. April 2017 spielt Sting in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf. Unser Reporter Philipp Holstein, der über das ausverkaufte Konzert berichten wird, hat den Weltstar schon einmal getroffen. Vor fünf Jahren bei einer Art Privataudienz in seinem Haus am Malibu-Beach. Ein Text aus unserem Archiv.

Stings Haus ist rot getüncht, das mächtige Garagentor steht offen, ein schwarzer Volvo-Geländewagen wurde lässig in der Einfahrt geparkt. Der Reporter fragt sich, ob er noch warten soll, er ist eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit in Malibu eingetroffen. Eine Frau, die in der Garage an einem Tisch Wäsche zu bearbeiten scheint, dreht sich zu ihm um. Sie sagt etwas. Die Wäsche hebt den Kopf, es ist der von Sting. "Er bekommt gerade seine Morgenmassage", flüstert der Fahrer, der den Reporter gebracht hat und sich nun ins Auto zurückzieht. Sting erhebt sich von der Massagebank. Er trägt nur Shorts, sieht verflixt gut aus. Bauch konkav, definierte Oberarme, kaum Körperbehaarung. Würde man schon länger an diesem irren Ort leben, man breitete die Arme aus und riefe: Wow! You look great! So murmelt man bloß: Verzeihung, hoffentlich fühlen sie sich nicht gestört. Offenbar aber doch: "Ich hatte Sie nicht so früh erwartet", sagt Sting. Hinter der britischen Höflichkeit ein bisschen muffelig. Kein Wunder.

Sting begleitet den Reporter zur Terrasse. Der Hausherr geht vor. Der erste Teil des Hauses ein japanischer Garten: Ein echter Bach plätschert, Bambus wächst, schön kühl. Stings Füße machen ein schmatzendes Geräusch. Zweiter Teil des Hauses: orientalisch. Ornamente, Götzenstatuen, mehrere Sofas. Sympathisch unaufgeräumt. Keine Spur von Stings reizender Frau, der Filmproduzentin Trudie Styler. Was auffällt: Das Haus hat keine Türen. Alles offen. Im Schlafzimmer das ungemachte Bett. An einer Wand ein gewaltiges Foto: Sting auf dem Motorrad in der Wüste. Nirgendwo ein Instrument. In der Küche zwei Köche. Schneiden Gemüse. Es riecht nach Makrobiotik. Dann Terrasse. Blaue Möbel. Ein Hund. Drei Stufen führen auf eine Aussichtsplattform, darauf gelbe Liegen. Neoprenanzüge hängen zum Trocknen aus. Von der Plattform führen drei Stufen hinab: Strand, Pazifik, Paradies. Hier könnte man auch gut komponieren, denkt man. Vielleicht fiele einem nicht gleich "Shape Of My Heart" oder "Fields Of Gold" ein, aber doch zumindest "De Do Do Do, De Da Da Da". Nebenan wohnen Robert de Niro und Larry Hagman. "Warten Sie hier", sagt Sting.

"Da hinten läuft Matthew McConaughey"

Der Reporter schaut auf das Meer. Denkt an die Fahrt vom Flughafen Los Angeles zu Stings Haus. 45 Minuten in der Limousine. Hinter getönten Scheiben meilenweit am Strand entlang. Dort Jogger mit Kopfhörern, am Arm den neuesten iPod befestigt. Fitnessgeräte überall, tolle Bodys. "Da hinten läuft Matthew McConaughey", sagte der Fahrer, "nice guy". Der Hollywood-Schauspieler lebt nicht wie Sting in einer gated community, in einem bewachten Areal mit vielen sonnenbebrillten Aufpassern also, sondern in einem Luxus-Wohnwagen, den er nach gusto da und dort aufstellt. "He's really free", meinte der Fahrer. Die lokale Radiostation heißt "The Wave" und sendet Easy-Sounds: "Malibu Dreams" von Kenny G und "Carribean Queen" von Billy Ocean. Alle paar Kilometer Esoterikläden, die "Aura Reading" anbieten. "Baywatch"-Vorspann, pittoreskes Durchgeknalltsein, Körperkult.

Der Reporter erschrickt. Er spürt Stings Hand auf seiner Schulter. Sanfter Druck. Kann bestimmt gut massieren. "Sehen Sie die Delfine?" Sting zeigt aufs Meer. Er hat sich ein T-Shirt übergezogen. Ausgeleierter Halsausschnitt. Der Reporter sieht keine Delfine, will aber nicht schon wieder ins Fettnäpfchen treten. Also ausweichen: Sie haben ein schönes Haus. Der tiefenentspannte Sting antwortet erst nach einer Pause: "Das Haus ist okay."

Ernster Typ. Regenwald-Retter. Kritischer Kopf.

Ernster Typ. Regenwald-Retter. Kritischer Kopf. Muss man knacken können. Erst mal hinsetzen. Der Reporter erzählt die wahre Geschichte, dass er sich bei der Direktorin seines Hotels vorstellen musste, weil er keine Kreditkarte besitzt. Dass bereits alles von Deutschland aus bezahlt wurde und der Reporter Bargeld bei sich führte, nütze nichts: "Für Sie kein Internet, kein Roomservice", bestimmte die Direktorin. Sting schüttelt den Kopf, legt die Stirn auf den Tisch. Komischer Moment: Man schaut dem großen Sting auf den Hinterkopf. Dann Kopf hoch. "Dieses unglaubliche Land!" Sting kommt in Fahrt. "Die Welt wird von der Wirtschaft regiert, von Trusts ohne Moral." Keiner da, der die Trusts kontrolliert? "Die Regierungen sollten es, aber sie tun es nicht." Betroffenheit.

Sting ist streng. Er ist kein klassischer Rockstar. Rockmusik interessiert ihn nicht, wird er später sagen, sie wiederhole sich nur. Deshalb spielt er Platten mit 400 Jahre alter Lautenmusik ein und nimmt Winterlieder aus der Zeit Shakespeares auf. Fragen nach The Police hat er sich verbeten. Schon seine erste Solo-LP war eigentlich ein Jazzalbum. Musiker aus der Band seines Helden Miles Davis spielten da mit. Sting, der Denker. Die größte Inspiration war ihm stets die Literatur: "Don't Stand So Close To Me" wurde angeregt durch Nabokovs "Lolita", für "Bring On The Night" stand T. S. Eliot Pate. "Ich bin ein Leser. Und ich gebe nie ein Buch weg. Ich behalte jeden Band. Sie stehen in meinen Bibliotheken in New York und London. Hier habe ich nur eine kleine Auswahl an Büchern, ich bin nicht oft in Malibu. Gerade lese ich ,The World As It Is' von Chris Hedges. Es geht darin um Amerikas Krieg gegen den Terror."

Da denkt man, so einer hat keine Sorgen mehr, und dann trägt er doch schwer am Gewicht der Welt. Das wichtigste Buch in seinem Leben ist "Critical Path" von dem Architekten Richard Buckminster Fuller, sagt er. Ein philosophisches, stellenweise arg schwärmerisches Werk, das die Menschheit als "Eine-Welt-Familie" beschreibt. "Dieses Buch hat mich gemacht", sagt er. Sting atmet oft laut durch die Nase. Wie Menschen, die gerade merken, dass sie bedeutend sind.

Kien Liebeslied, sondern ein Song über einen Stalker

Angemessene Frage: Bob Dylan sagte, er wolle Songs schreiben, die größer sind als das Leben. Was meint Sting dazu? "Ich schreibe Songs, um Geschichten zu erzählen. Wichtig ist, dass die erste Strophe eine Situation beschreibt, die jeder kennt. Ich bin an den normalen Dingen interessiert: Beziehungen zum Beispiel. Genau genommen schreibe ich Short Stories. Der perfekte Song ist in dieser Hinsicht ,The Lonesome Death Of Hattie Carroll' von Bob Dylan." Aber sind nicht einige von Stings Songs größer als das Leben — oder besser gesagt: zeitlos? "Fragile" von 1987 wurde zum Trost nach den Anschlägen vom 11. September im Radio gespielt, "We Work The Black Seam" von 1985 hörte man nach Fukushima oft — sicher wegen der Zeile "One day in our nuclear age / They understand our rage". Sting lacht. ",Fragile' ist ein sehr offener Song, und es ist gut, dass die Menschen ihn mit Sinn füllen. Der andere handelt von Grubenarbeitern im England der 1970er Jahre. Komisch, wie die Leute sich die Bedeutung zurechtlegen. Nehmen Sie ,Every Breath You Take'. Das ist kein Liebeslied, sondern ein Song über einen Stalker. Trotzdem spielen ihn viele bei ihrer Hochzeit." Man erinnert sich an "Don't Stand So Close To Me", das Lied über einen Lehrer und seine junge Schülerin. Schönste Zeile: "Wet bus stop / She's waiting / His car is warm and dry". Sagt alles, perfekt, darf man aber nicht drüber reden, ist von The Police.

Sting bekommt von einem der wie Surfer gekleideten Köche Kaffee gebracht. Das Schlürfen vermischt sich mit dem Rauschen des Ozeans. Sting, eins mit der Schöpfung. Eine angenehme Brise bauscht den Sonnenschirm. Schreiben Sie überhaupt noch neue Songs? "Ja, für ein Musical, dessen Handlung sich an meinem Album ,The Soul Cages' von 1991 orientiert. Es geht um den Tod einer Stadt, deren Menschen davon lebten, Schiffe zu bauen und in der Kohlenmine zu arbeiten."

Warten auf das Streicheln des Windes

Revision des Werkes gewissermaßen, Neues aus Altem, das hat Sting mit vielen seiner Hits gemacht. Das aktuelle Album "Symphonicity", mit dem er noch einmal auf Tournee geht, bringt ein Best of in symphonischen Versionen, was den Sinn der Originale zum Teil verändert: "Roxanne" ist nun viel sanfter. "Das war beabsichtigt", sagt Sting. "Die Lieder sollten offener und romantischer klingen." Von Rock bis Orchestermusik: Sting überrascht noch immer. Oscar Wilde sagte, ein Künstler ist erfolgreich, wenn die Menschen sein Werk nicht verstehen, es aber dennoch lieben. Sting lächelt milde, das gefällt ihm, klar.

Er zieht die Füße auf die Sitzfläche des Stuhls. Manchmal schließt er die Augen und erwartet das Streicheln des Windes. Bisschen mit Sting rumsitzen, denkt der Reporter. Kurz Ferien machen mit Sting. Atmen, easy sein. "Next To You".

Aber die Zeit ist um, Sting muss sich fertigmachen. "Ich fahre zum Flughafen." Wo es hingeht? "Nach Paris." Gibt er dort ein Konzert? "Nein. Ich mache Urlaub."

Hinweis der Redaktion: Dieser Text ist erstmals am 11. Juni 2011 in der Rheinischen Post erschienen.

Eine Rezension zur aktuellen Platte von Sting lesen Sie hier: "Sting macht endlich wieder Rock"

(hols)
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