Geschichten aus Taizé (2) Bei den Brüdern vom heiligen Hügel

Taizé · Zur ökumenischen Gemeinschaft von Taizé zählen heute 100 Brüder aus 30 Nationen. Sie beten mit den vielen Tausend Jugendlichen, die bei ihnen zu Gast sind, stehen für persönliche Gespräche bereit und geben Beispiel für christliches Leben in Einfachheit.

Die Brüder der Gemeinschaft von Taizé
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Wolken hängen tief über dem Hügel von Taizé. Heute hat der Blick hinunter ins Tal nichts Erhabenes. Die Landschaft ist grau, matt, wie in Gedanken versunken. Gleich werden im hölzernen Turm am Eingang des Geländes die Glocken schlagen, werden die Pilger in dem großen christlichen Jugendtreff im französischen Burgund ans Mittaggebet erinnern, sie zusammenrufen zum gemeinsamen Innehalten.

Die ersten Brüder sind da schon unterwegs zur Kirche. Aus ihrem Wohnhaus etwas abseits vom Pilgergelände gehen sie einen gepflasterten Weg entlang. Rechts stehen alte Bäume, dahinter weitet sich das Tal, auf der anderen Seite grasen wenige Schafe; die hat die Gemeinschaft erst vor kurzem angeschafft. Es ist still auf diesem Weg, als wäre der Pfad durch die Natur ein Korridor in klösterlicher Klausur. Ein Bretterzaun trennt ihn vom restlichen Gelände, auf dem manchmal bis zu 5000 Jugendliche leben, beten, arbeiten.

Abgeschirmt von diesem Betrieb betreten die Brüder ihre Kirche in Stille. In einem Vorraum hängen ihre Gewänder an robusten Wandhaken. Schweigend schlüpfen die Männer hinein, ziehen die Kapuzen zurecht, löschen mit dem langen weißen Kleid ein Stück ihres Alltags. Und werden einander gleich.

Junge Christen in Taizé erzählen
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Junge Christen in Taizé erzählen

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Gelassener Rhytmus beim Gebet

So gehen sie zu den Jugendlichen in das Gotteshaus, setzen sich in den Mittelgang, der durch eine niedrige Buchsbaumhecke markiert ist, teilen mit ihren Gästen das Gebet. Sie stimmen die Lieder an, lesen das Evangelium in mehreren Sprachen, geben dem Gebet den gelassenen Rhythmus. Die Bruderschaft im Mittelgang ist das Rückgrat dieser Gemeinde, ganz bei sich und doch im Dienst der anderen. Nach dem Gebet verlassen die Männer in den weißen Gewändern den Raum gemeinsam, gehen zum Essen wieder hinüber in ihr Haus, dann kehren sie zurück an die Arbeit.

In die Töpferei zum Beispiel. Der Brennofen ist aufgeheizt. Frère Jocelyn schneidet Scheiben von einer dicken Stange Ton. In einer Maschine werden die Stücke gleich zu Tellern gedreht, dann gebrannt und glasiert. Gegenüber sitzt Frère Leo an einer Töpferscheibe, formt von Hand einen Kelch. Die Brüder arbeiten konzentriert, rufen nur manchmal etwas gegen die Maschinengeräusche. Es ist warm und ziemlich staubig in der Werkstatt vom Feinschliff an den gebrannten Stücken.

Im Klosterladen verkaufen die Brüder ihr zeitlos schlichtes Geschirr, sakrales Gerät, Krüge und Schalen zu günstigen Preisen. Dazu gibt es Kreuzchen aus ihrer Emaillewerkstatt, die geformt sind wie eine Taube. Viele Jugendliche tragen sie an Lederbändchen um den Hals. Taizé-Pilger in der ganzen Welt erkennen einander an diesen Anhängern. Die Brüder leben von den Einnahmen. Spenden oder Erbschaften nehmen sie nicht an.

"Das Besondere" von Taizé

Den Dienst an der Kasse im Klosterladen übernehmen Schwestern. Mehrere Orden haben Frauen nach Taizé entsandt, die St.-Andreas-Schwestern aus Belgien zum Beispiel. Sie kümmern sich auch um die jungen Frauen, die längere Zeit nach Taizé kommen, um als Freiwillige zu helfen. Im Nachbardorf Ameugny leben 17 Andreas-Schwestern in einem alten Bauernhaus, mit lichten Räumen, Holzböden, dem Blick ins Tal. Daneben liegt ihre Kapelle. Zweimal in der Woche feiern sie dort katholische Messe. Es ist wunderbar still in diesem Raum. Die Wände sind aus hellem Holz, hinter dem Altar hängt eine Ikone, auf dem Boden steht eine Tonvase mit den letzten Wiesenblumen des Jahres. Die Schwestern singen mehrstimmig, geübt und rein. Einige Freiwillige aus Taizé sind zum Gottesdienst gekommen, ein alter Mann aus dem Dorf. Später werden sie gemeinsam Tee trinken, am großen Tisch neben der Küche, plaudern, Plätzchen essen. Jetzt hockt jeder allein auf einer Meditationsbank, lauter Einzelne versammelt zum Gebet.

Und während der Gesang der Schwestern den Raum einnimmt, stellt sich in der kleinen Kapelle ein Gefühl der Vertrautheit ein, wie es auch in der großen Pilgerkirche von Taizé drei Mal am Tag zu spüren ist. Es ist ein Gemeinschaftsgefühl, das nicht angeheizt werden muss. Es breitet sich in aller Stille aus zwischen Menschen, die nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. Viele Pilger erzählen davon, nennen es "die Stimmung", "die Atmosphäre", "das Besondere" von Taizé. Manchmal ist Sprache unbeholfen. Manchmal reichen Empfindungen über sie hinaus.

Auch Bruder Timothée hat dieses Miteinander tief bewegt. Er ist 16, als er zum ersten Mal nach Taizé kommt — ein Jugendlicher aus Freiburg, der sich in der Gemeinde daheim manchmal verloren vorkommt. Taizé gibt seinem Glauben neue Kraft. Er mag den Tagesablauf mit den festen Gebetszeiten. Es gefällt ihm, mit so vielen anderen jungen Leuten in die Kirche zu gehen. "Das war in meiner Heimatgemeinde wirklich anders", sagt Timothée und lächelt. Als er nach Hause zurückkehrt, sucht er nach einer Jugendgruppe, wird in der Nachbargemeinde fündig. Zwei Jahre später fährt er wieder nach Burgund — und plötzlich wird es für ihn ernst. Auf einmal spürte er, dass er wiederkommen, nach dem Abi längere Zeit bleiben möchte. "Ich wollte wissen, wie es ist, wenn Taizé nicht Ausnahmesituation ist, wie es einen verändert, wenn auf längere Zeit das Gebet im Leben seinen festen Platz hat", sagt Frère Timothée.

Ein wenig Furcht vor dem Heimkommen

Er hat Taizé nicht wieder verlassen. Mit 25 legt er sein Lebensengagement ab. So nennen es die Brüder, wenn einer ihrer Gemeinschaft verbindlich beitritt, gelobt, für den Rest seines Lebens auf eigene Familie, privaten Besitz zu verzichten. Drei Jahre hat sich Frère Timothée auf diesen Schritt vorbereitet, sechs Jahre ist das nun her. Er erzählt das gelassen. Als sei es nichts Ungewöhnliches, dass heute einer diese Entscheidung wagt. Für ihn war sie stimmig. Manchmal erzählt Frère Timothée Jugendlichen seine Geschichte. Sie fragen ihn danach in den Gesprächsrunden, zu denen er Gruppen am Ende ihrer Taizé-Woche einlädt. Dann gibt es Tee für alle, manchmal ein Stück Honigkuchen, und die Jugendlichen erzählen, wie sie das einfache Leben im Pilgercamp beeindruckt hat, wie sehr sie die Gebetszeiten mit den meditativen Liedern, den Momenten der Stille mochten, und dass sie sich nun ein wenig vor dem Heimkommen fürchten. Weil sie nicht wissen, wie diese Stimmung zu bewahren ist für ihr ganz anderes Leben daheim. Weil sie sich fragen, wie Taizé andauern kann.

"Wenn wir den jungen Leuten erzählen, dass die Brüder ein Lebensversprechen ablegen, sind sie hellwach", sagt Frère Alois, der Prior der Gemeinschaft, die heute 100 Brüder zählt aus 30 Nationen. "Man spürt ihren Hunger nach Verbindlichkeit — und zugleich fragen sie, ob es überhaupt möglich ist, eine Beziehung auf Dauer einzugehen." Frère Alois findet diese Skepsis traurig, aber er lastet sie nicht den Jugendlichen an. Sie sei Ausdruck der Zeit. Viele Jugendliche hätten schwere Lasten im Gepäck, wenn sie zu ihnen auf den Hügel kämen. "Eigentlich bedrückt sie immer das Fehlen von Liebe — in den Familien, in Beziehungen, in Freundschaften", sagt Frère Alois. Die Jugendlichen erzählen davon in den Bibelstunden und Gesprächskreisen, manche auch nach dem Abendgebet, wenn die Brüder noch eine Weile in der Kirche bleiben und für persönliche Gespräche bereitstehen.

Viele suchen jemanden, der zuhört

"Viele suchen in Taizé nicht zuerst das große Jugendtreffen, sondern jemanden, der zuhört, dem sie etwas anvertrauen können, eine Freude oder eine Frage — oft ein Leid", sagt Frère Alois. Er ist in Stuttgart aufgewachsen, der Bruderschaft 1974 beigetreten, da war er 19 Jahre alt. Als 2005 eine geistig verwirrte Frau den damals 90-jährigen Ordensgründer Frère Roger in der Kirche von Taizé erstach, übernahm Frère Alois die Leitung der Gemeinschaft. So hatte es sein Vorgänger schon Jahre zuvor bestimmt. Wie die Brüder ihr gemeinsames Leben weiter gestalten sollten, hatte er offengelassen. "Frère Roger hatte Vertrauen zu Gott. Und er hat darauf vertraut, dass die Jugendlichen ihn hier weiter suchen und finden", sagt Frère Alois. Der Tod des charismatischen Ordensgründers hat den Pilgerstrom nach Taizé jedenfalls nicht versiegen lassen.

Etwas anderes lockt die Pilger weiter auf den Hügel in Burgund: Dort begegnen sich Menschen, die vor der Frage stehen, wie sie ihren Glauben im modernen Alltag leben können, wie sie es schaffen, sich nicht zu sehr abhängig zu machen von Besitz und Karriere, wie sie sich öffnen können für Gott und das Gebet, wie sie dasein können für ihre Nächsten. In Taizé probieren Christen einen einfachen Lebensstil, lassen all die Anforderungen und Zerstreuungen, die sie daheim so müde machen, eine Zeit lang hinter sich und erleben, wie sie das befreit, wie es sie füreinander öffnet.

In der Gemeinschaft von Taizé können Menschen erleben, welche Freiheit, welchen inneren Reichtum ein Leben nach Jesu Vorbild schenken kann. Es ist das Zeugnis der Brüder für die Welt.

(gre)
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