Düsseldorf Thomas Ruff fotografiert ohne Kamera

Düsseldorf · Eine kleine Retrospektive in der Kunsthalle Düsseldorf stellt Bilder aus 35 Jahren, in fünf Werkgruppen geordnet, vor.

Die Welt ist mit Fotos abgefüllt: Wer heute im Meer der Smartphone-Selfies und digitalen Bilderflut mit seinem Beitrag auffallen will, muss ein Künstler sein. Einer wie Thomas Ruff. Er hat nicht nur das Genre in seinen technologischen Dimensionen enorm erweitert, sondern auch die Fotografie benutzt, um seine eigene Welt auszuleuchten, um Dinge ins Licht zu rücken, die gemeinhin nicht so wichtig genommen werden. Ruffs Fotos sind Statements, die neben der hochsensiblen ästhetischen Äußerung als historische Dokumente seiner Zeit überdauern werden.

Als er in der berühmten Becher-Klasse an der Düsseldorfer Akademie seine ersten Arbeiten in Farbe vorlegte, soll Bernd Becher die Stirn gerunzelt haben. Becher dachte noch schwarz-weiß. Gleichzeitig ermunterte er ihn, sein Ding weiterzumachen. "Interieurs" waren es, mit denen sich der im Schwarzwald geborene Fotograf zuerst befasste. Jetzt sind sie als eine von fünf Werkgruppen in der Düsseldorfer Kunsthalle zu sehen: kleinere Formate, Stills aus Wohnsituationen, die dem jungen Ruff als verpönte Relikte einer auslaufenden Zeit vorkommen mussten: Omas Frisierkommode, eine krummblättrige Fettpflanze vor gekachelter Wand, ein Bett mit weißgestärkten Kissen, ein plüschiger Wäschehocker vor Einbauschrank im fahlen Nachmittagssonnenlicht. Ganz nah dran war Ruff damals am Sujet, beobachtete sachlich, fotografierte analog - mit natürlichem Licht.

In dieser Zeit - vor 35 Jahren - erklärte sich Thomas Ruff zum Künstlerfotografen, obwohl er davon geträumt hatte, Astronom zu werden. Die unermessliche Strecke und die gedankliche Dimension, die zwischen jenen ersten "Interieurs" und den etwa zehn Jahre später entstandenen Sternenbildern liegen, könnten größer nicht sein. Aus dem Wohnzimmermief der 1950er Jahre trieb es ihn zu den unendlichen Weiten des Kosmos. Im Jahr 1989 benutzte er erstmals Glasnegative als Arbeitsvorlage, die er bei einem Observatorium gekauft hatte. Ruff bearbeitete diese Urbilder vom Sternenhimmel, wählte Ausschnitt und Format. So entstanden seine tiefschwarzen, von blitzenden weißlichen Himmelserscheinungen übersprenkelten Ansichten der Welt hinter unserer Welt. Man kann sich darin versenken - und ist auf der Hut, nicht darin zu versinken. Es waren die ersten Fotos, die Ruff nicht selbst gemacht, sondern nur bearbeitet hatte. "Das war hart", sagt er. Die Frage der Autorenschaft war nicht mehr eindeutig zu klären.

Später brachte ihn sein forschender Geist auf immer neue Techniken. Zur Zeit des Golfkrieges flimmerten grünstichige Kriegsbilder über deutsche Fernsehschirme; den Effekt des sogenannten Restlichtverstärkers griff Ruff auf für Aufnahmen, die er zur selben Zeit in Düsseldorfs Straßen und Umgebung machte. Das Grün und das Verschwommene auf diesen Fotos verbreiten Kriegsangst. Daher sind diese Bilder auch nicht schön geworden, sondern unheimlich.

Seit 2012 entstehen Fotogramme, die jetzt augenfällig im großen Saal der Kunsthalle ausgebreitet sind. Was Altmeister Moholy-Nagy noch mit langer Belichtung und vorgefundenen Teilen wie Spirale oder Linse in eine faszinierende Gesamtkomposition brachte, erlebt bei Ruff eine virtuelle Renaissance. Die Kamera hat ausgedient bei diesen Versuchsanordnungen, die er in einer dreidimensional arbeitenden Dunkelkammer des Computers aufstellt. Selbst der Träger, das Papier, ist virtuell erzeugt, die Gegenstände sind es ebenso - und am PC sitzend, komponiert der Künstler sein Werk.

Technik interessiert ihn nicht, nur das Bild. Das sagt Thomas Ruff. Wer ihn auf die malerische Qualität dieser farbexplodierenden rhythmisierten Fotogramme anspricht, wird sprachlos angelächelt. Kunsthallen-Chef Gregor Jansen kann das besser erklären: "Indem Ruff bei der Simulation eines historischen Genres die Grenzen des technisch Machbaren sprengt, liefert er einen Kommentar zum einstigen Aufkommen und heutigen Niedergang moderner Utopien." Zu Jansen in die Kunsthalle ist Ruff mit seinen Arbeiten gerne gekommen, weil er den rohen Bau und die Lebendigkeit schätzt. Er wird nicht nur auf dem internationalen Kunstmarkt, sondern auch unter jungen Leuten - ähnlich wie Thomas Struth und Andreas Gursky - als stilbildender Fotograf der Gegenwart anerkannt und verehrt: fast ein Held. Wohin ihn seine technikgetriebene Künstlerschaft noch treibt, ist ungewiss. Manchmal wünscht er sich, noch einmal mit der Kamera loszuziehen und ein Motiv zu entdecken, das er einfach nur fotografiert.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort