Köln Tintoretto ist großes Kino

Köln · Das Frühwerk des italienischen Malers wird zurzeit im Kölner Wallraf-Richartz-Museum gezeigt.

Tiepolo, Tizian und Tintoretto - in der Accademia von Venedig schaukeln sie sich gegenseitig auf. In den hohen Sälen mit ihren Deckengemälden suchen sie einander zu überbieten in den Disziplinen Raumwirkung, Lichtführung, Dramatik und kunstvolle Übertreibung. Selbst die "Bergung des Leichnams des heiligen Markus" wird unter dem Pinsel des reifen Tintoretto zur Sensation. Wie reif auch schon das Werk des frühen Tintoretto wirkt, davon kann man sich jetzt in einer mit kostbaren Leihgaben gekrönten Ausstellung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums überzeugen. Sie straft die Redensweise Lügen, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen sei.

Verständlich, dass Jean-Paul Sartre den Italiener als "ersten Filmregisseur" titulierte. Von vornherein verstand sich Tintoretto darauf, mit seinen Gemälden einen Sog auf die Betrachter auszuüben, schon allein durch die Tiefe der Komposition und seine Vorliebe für die Macht von Diagonalen. Man achte nur auf die räumliche Staffelung des "Emmaus-Mahls" und den Reichtum an ausdrucksstarken Gesten in der "Bekehrung des Saulus".

Die Ausstellung über das Frühwerk des kleinwüchsigen, wohl 1518 in Venedig geborenen und 1594 dort gestorbenen Malers, der eigentlich Jacopo Robusti hieß und dessen Künstlername sich wahrscheinlich vom Färber-Handwerk seines Vaters ableitet, spricht viele, fast zu viele Themen an. Man merkt, dass Kurator Roland Krischel sämtliche Ergebnisse seiner Forschungen unterbringen wollte. Und die sind beachtlich.

So fand Krischel heraus, dass ein großes rätselhaftes Gemälde aus der Sammlung der britischen Königin nicht etwa von dem flämischen Maler Lodewijk Toeput stammt, sondern vom jungen Tintoretto. In Köln hängt das "Liebeslabyrinth" der Queen nun inmitten weiterer seiner Bilder aus derselben Zeit. An anderer Stelle wird diese Allegorie auf das menschliche Leben anhand eines plastischen Modells regelrecht auseinandergenommen. Da stellt sich dann heraus, dass der Irrgarten ein zweigeteiltes Zentrum hat. Wer eine Abkürzung nimmt, gerät nur in die rechte Hälfte des Mittelkreises und darf den links Tafelnden lediglich aufspielen. Zum Tisch der Weisheit gelangt nur, wer sich für den langen Weg entscheidet. Eine Neuentdeckung ist auch die "Fußwaschung". Das Bild, das im Bestandskatalog des Museums Grenoble bislang unter "venezianische Schule, 16. Jahrhundert" verzeichnet war, hat sich als Frühwerk von Tintoretto herausgestellt und damit als Vorläufer des gleichnamigen Monumentalbilds im Madrider Prado.

Ein weiteres Kapitel der überbordenden Ausstellung gilt Tintorettos Doppelgänger Giovanni Galizzi. Damit hat es folgende Bewandtnis: Bis etwa 1544 arbeitete Tintoretto weitgehend ohne Asssistenz. Als er seine Produktion ausweitete, erwählte er wohl Galizzi als Geschäftspartner. Erst um 1554 trennten sich ihre Wege, und Tintoretto warb andere Assistenten an, vorzugsweise aus Flandern. Möglicherweise hatte Galizzi Bilder seines Arbeitgebers plagiiert.

Der Meister und seine Werkstatt -auch das ist ein Thema der Schau. Tintoretto, so erfährt man, war zeitweise Subunternehmer für Tizian. Umgekehrt beschäftigte Tintoretto eine Reihe auch namhafter Künstler, die ihm den Krimskrams abnehmen sollten, zum Beispiel die Gestaltung kleiner Figuren. Er selbst verlegte sich auf Kompositionen mit wenigen Großfiguren.

Der letzte Saal spiegelt die Zeit, in der Tintorettos Werkstatt gleichsam explodierte, in der er kaum genug Fachkräfte bekommen konnte, die ihm halfen, seine Aufträge zu bewältigen. Auffällig viele Frauenakte sind darunter, stets verbrämt als Szenen aus Bibel und Mythologie. Man vermutet, dass der damals noch unverheiratete Tintoretto damit seiner angeblich deutschen Geliebten und Mutter seiner Lieblingstochter Marietta ein Denkmal gesetzt hat. Mit den Akten wollte er vermutlich auch in der Konkurrenz mit Tizian bestehen.

Sinnt man am Ende des Rundgangs darüber nach, welche Bilder am stärksten nachwirken, so zählen dazu unbedingt die gleichformatigen achteckigen Gemälde "Deukalion und Pyrrha beten vor der Statue der Göttin Themis" und "Jupiter und Semele", zwei atemraubende Deckenbilder des erst 22-jährigen Tintoretto. Deukalion und Pyrrha erscheinen durch heftige Untersicht verzerrt, nahezu modern, und die Gesichter sind nicht erkennbar. Noch drastischer geht es im Semele-Bild zu. Sie wird von ihrem blitzeschleudernden Geliebten Jupiter unwillentlich verbrannt und windet sich wie auf einem Opfertisch. Großes Kino aus einer Zeit großer Erwartungen.

(B.M.)
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