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Fritz J. Raddatz Tod eines großen Dandys

Hamburg · Der umstrittene und wortgewaltige Feuilletonist Fritz J. Raddatz ist gestern 83-jährig gestorben.

Fritz J. Raddatz: Feuilleton-Chef der "Zeit" ist verstorben
Foto: dpa, chc sab chc

Er war ungerecht und besserwisserisch, eitel und nachtragend, er war immens belesen, gebildet, leidenschaftlich und ein großer Stilist. Somit besaß Fritz J. Raddatz eine Menge Eigenschaften, die einem Kritiker und seinem Ruhm förderlich sein können. Und berühmt und gefürchtet war er tatsächlich und fast so einflussreich wie Marcel Reich-Ranicki. Gestern ist Raddatz - FJR, wie er ehrfürchtig in Versalien genannt wurde - im Alter von 83 Jahren gestorben.

Viel Feind', viel Ehr'. Wer aber ein solches Umfeld pflegt, dem darf eins nicht passieren: ein gravierender Fehler. Und dieser war Raddatz, dem damaligen, vieljährigen und natürlich schon legendären Feuilleton-Chef der "Zeit" am 12. Oktober 1985 unterlaufen. In einen zu hurtig hingeschriebenen Leitartikel zur Buchmesse ließ er ein nur aufgeschnapptes Goethe-Zitat einfließen. Demnach hatte der Dichterfürst zur damaligen Frankfurter Buchmesse geschrieben, dass man "das Gebiet hinter dem Bahnhof zu verändern" begonnen habe. Das Dumme war nur: Von einem Bahnhof konnte zu Lebzeiten Goethes keine Rede sein. Raddatz war einer Parodie aufgesessen.

Man lachte aber nicht nur über den Kritiker; man wetzte nun die Messer. Die Gelegenheit schien günstig, den inbrünstig gehassten Dandy und Störenfried endlich loszuwerden. Kurzum: Fritz J. Raddatz war zum Abschuss freigegeben. Und so verlor er über diesen Fehler sein Amt im "Zeit"-Feuilleton, dem er einen neuen politischen Anstrich gegeben hatte. Später wird er darüber räsonieren, warum ausgerechnet ihn die geballte Wut über einen vermeintlich lässlichen Fehler traf: weil er "homosexuell, jüdisch-schnell, zu sehr und zu oft Überlegenheit vorführend" gewesen ist? Eine Antwort darauf wird es nicht geben können; aber man ahnt zumindest, dass seine Vermutungen nicht allzu weit von den Motiven seiner Feinde entfernt gewesen sein dürften.

Die guten Jahre seines Lebens könnte man sich als einen großen Maskenball vorstellen, bei dem Champagner und Kaviar zu den Grundnahrungsmitteln gehörten. Auch davon ist in seinen grandiosen Tagebüchern aus den Jahren 1982 bis 2001 und 2002 bis 2012 obszön oft die Rede. FJR hielt wortgewaltig Hof, er kostete den Neid der anderen über sein "Pörschlein" aus, der später einem Jaguar wich, pflegte gebührend seine Liebe zu Sylt.

Das alles gehörte zwar bloß zur Oberfläche seines Intellektuellenlebens, die nicht das Leben selbst gewesen ist, die aber als schmückendes Beiwerk unerlässlich war. Dahinter blieb harte Arbeit verborgen: sein Studium in Berlin, seine Habilitation bei Hans Mayer, die Lektoratsarbeit bei "Volk und Welt" in Ostberlin, vor allem seine neun Jahre beim Rowohlt-Verlag, für den er Fichte, Hochhuth, Kempowski und Jelinek entdeckte. Fritz J. Raddatz litt am Feuilleton und am Kulturbetrieb und konnte doch ohne sie nicht existieren: ohne Marion Dönhoff, die "Inge Meysel des Journalismus", ohne Rudolf Augstein, den "neureichen Niemand" sowie den "nun vollends grausligen Reich-Ranicki".

Und doch schienen viele Attacken bloß Scheinkämpfe und manchmal der Zeitvertreib in einem auch überschatteten Lebens gewesen zu sein. Davon schreibt er in den Tagebüchern wie auch in seiner Erzählung "Kuhauge" - wie der Vater den kleinen Fritz zum Sex mit seiner Stiefmutter schubst. Eine Missbrauchstat, die sein "ganzes Leben bestimmt und zerstört hat".

Mit zunehmendem Alter empfand er sich als "nicht mehr zeitgemäß". Dazu gehörte für Raddatz auch, dass man begann, ihn Ikone und gar Legende zu nennen. Ob er dennoch glücklich gewesen ist? "Mein Leben war nicht glücklich. Eher farbig und froh."

(RP)
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