Tommy Lee Jones dreht sich einen Western

Neu auf DVD: "The Homesman" heißt die zweite Regiearbeit des Schauspielers. Darin räumt er mit allen Wildwest-Klischees auf.

Mary Bee Cuddy hat ihr bestes Kleid angelegt und den Tisch fein gedeckt wie eine gute Siedlerfrau. Nach dem Essen schlägt sie ein wenig Musik vor, legt einen weißen Stoffstreifen mit aufgestickter schwarzer Klaviertastatur auf den Tisch und beginnt, lautlos darauf zu spielen. Ihr Gast schläft erst kurz ein und beobachtet sie dann misstrauisch. Am liebsten würde er davonlaufen vor dieser furchterregend selbstbewussten Witwe, die ihm gleich auch noch, sachlich und flehentlich zugleich, einen Heiratsantrag machen wird. Den er natürlich ablehnen muss. Niemand in der Gegend will Mary Bee haben.

Schon mit ihrem ersten Auftritt erfasst der wunderbare Neo-Western "The Homesman" das verletzliche, aber stolze Wesen seiner Heldin mit solcher Zuneigung, dass man als Zuschauer unbedingt bei Mary Bee Cuddy bleiben möchte. Kein Hollywoodstar kann diese herben Kämpferinnen derzeit besser spielen als die zweifache Oscarpreisträgerin Hilary Swank. Einsam und resolut, ist ihre Mary Bee das einzig heile Wesen in einer völlig verrotteten Welt.

Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Tommy Lee Jones braucht keine Viertelstunde, um rund um seine Heldin praktisch alle romantischen Westernmythen zu zerstören. Der Film eröffnet mit Panoramen endloser Weiten und konzentriert sich dann auf eine trostlose Siedlung irgendwo im Nebraska des 19. Jahrhunderts. Das Land ist karg und staubig, die Ernten verdorren, das Vieh krepiert, die Pionierfrauen verlieren vor Verzweiflung den Verstand. Drei waren es in letzter Zeit: Eine (Sonja Richter) wird durch die Misshandlungen ihres Mannes wahnsinnig. Eine (Grace Gummer) gleitet in den Irrsinn, als eine Epidemie ihre Rinderherde dahinrafft. Und in einer grausig nüchternen Szene wirft noch eine (Miranda Otto) ihr todkrankes Baby in die Latrine wie Küchenabfall.

Die Dorfoberen wissen nicht wohin mit den drei irren Weibern, ihre Männer wollen sie nicht mehr. Jemand soll sie weit nach Osten in ein Sanatorium karren, in einem verriegelten Planwagen, quer durch die unerschlossene, von Indianern und Desperados wimmelnde Prärie. Als es kein anderer tut, steht Mary Bee auf und übernimmt den Auftrag. Sie fühlt, dass es ihre Christenpflicht ist. Damit wird aus ihr endgültig der Gegenentwurf zum klassischen Cowboy. Nicht die übliche entführte Tochter, das Saloon-Luder oder die ängstliche Ehefrau. Sondern eine zupackende Frau, die Courage zeigt, wo alle Männer ringsherum den Kopf einziehen.

So ganz allein kann Mary Bee allerdings auch nicht losziehen. Just da findet sie den verlotterten Ganoven George Briggs (Tommy Lee Jones), aufgeknüpft an einem Baum, unter sich ein unruhiges Pferd. Mary schneidet ihn los. Dafür muss er schwören, dass er bei ihrer Mission hilft.

So zieht das Paar auf eine Fahrt voll atemberaubend leerer Landschaften, rabiater Situationskomik und Gefahren. Einige Gaststars kreuzen ihren Weg, unter anderem "True Grit"-Entdeckung Hailee Steinfeld und Meryl Streep in berührenden Kurzauftritten. Doch die meiste Zeit gehört der Film allein seinen Hauptdarstellern.

Lee Jones gestaltet George Briggs mit Freude am Grotesken, als winselnden Alkoholiker im schmutzigen Pyjama. Eine Jammergestalt, die so gründlich mit männlichen Stereotypen aufräumt, dass man für Mary Bees Präsenz geradezu dankbar ist. Und wie die Romanvorlage von Glendon Swarthout geht Jones weiter ein Wildwest-Klischee nach dem anderen durch, um es dann schnöde zu brechen: die Schlägerei um eine Frau, den Indianerüberfall, den Rachefeldzug, den Flirt zwischen zwei Kontrastfiguren. All diese Situationen lässt Jones ins Leere laufen, nie kommt die zu erwartende Auflösung. Selbst Briggs und Marys bizarre Romanze endet in einer Antiklimax.

Dennoch will Jones das Genre nicht völlig über den Haufen werfen, dafür liebt er es viel zu sehr. Schon sein erstes Regiewerk "Three Burials" war eine eigenwillige Hommage an den Western. Auch auf "The Homesman" trifft das zu. Es geht um uramerikanische Werte wie Schuld und Ehre, wenn Briggs sich mit seinem Leben der Frau verpflichtet, die seinen Hals aus der Schlinge gezogen hat. Es geht um den Sieg der Starken über die Schwachen, auch wenn diesmal die Geschlechterrollen vertauscht sind und Schießereien fast ganz fehlen

Und wenn man diesen packenden Film gesehen hat, wundert man sich nicht mehr, dass der Darsteller Lee Jones in fremdinszenierten Filmen immer so mürrisch und unterbeschäftigt wirkt. Der Mann gehört eindeutig auch hinter die Kamera.

(RP)
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