Tränen im Kunstfälscher-Prozess

Am zweiten Verhandlungstag eines der aufsehenerregendsten Kunstfälscher-Prozesse der Nachkriegszeit erzählten die vier Angeklagten vor dem Kölner Landgericht ihr Leben. Es ging um eine große Liebe, eine innige Freundschaft zwischen Schwestern und einen lebenslangen Verlierer.

Köln Mit gefälschten Meisterwerken sollen die vier Angeklagten fast 16 Millionen Euro kassiert haben, doch das traut man ihnen vom Augenschein nicht zu. Auch am zweiten Verhandlungstag im Kunstfälscher-Prozess vor dem Kölner Landgericht wirkten die vier jeder auf seine Weise vertrauens-, ja liebenswürdig. Wolfgang Beltracchi (60), der mutmaßliche Drahtzieher, kam gut gelaunt aus der U-Haft in den Gerichtssaal und gab seiner getrennt von ihm einsitzenden Ehefrau ein Küsschen. Das war ein Zeichen, denn die unverbrüchliche Liebe zwischen den beiden wurde an diesem Vormittag ein großes Thema.

Noch ging es nicht um Kunstfälschung, sondern ausschließlich um die Personen. Beltracchi hatte das erste Wort. Er schilderte sich als Sohn eines Kirchenmalers und jüngstes von fünf Kindern, das in Geilenkirchen zur Grundschule, in Heinsberg aufs Gymnasium ging – "is ne ziemlich tote Gegend da" – und mit 17 von der Schule flog: "Ich war schon ziemlich kritisch." Es gelang ihm dennoch, ein Studium an der Werkkunstschule Aachen zu beginnen, allerdings blieb auch das ohne Abschluss. Er wollte ohnehin nur lernen, "was ich noch nicht konnte". Und das war "anatomisches Zeichnen, ein bisschen Bildhauerei und Siebdruck".

In den 1970er Jahren war er nach eigenem Bekunden "ein bekennender Hippie". Er lebte in Wohngemeinschaften, auch in Amsterdam, von "Sex, Drugs und Rock'n'Roll", wie er gestand. Der Vorsitzende Richter Wilhelm Kremer lächelte ironisch: "Wir sind ja gleich alt, da kennt man das."

Bis 1981, so führte Beltracchi weiter aus, war er in Aachen polizeilich gemeldet. Er war viel unterwegs zwischen Brüssel und Barcelona, stellte verschiedentlich seine Kunstwerke aus, "und ich habe sehr gut verkauft, einmal auch ans Haus der Kunst in München".

1983 nahm er eine Wohnung in Krefeld, befasste sich mit Literatur und Film – und machte 1986 "Schluss mit allen Drogen".

1988 kam sein Sohn Manuel zur Welt. Damals lebte Beltracchi in Kempen. Dann trennte er sich von der Mutter und ließ sich in Viersen nieder, wo heute Mutter und Sohn wohnen.

Schlagartig veränderte 1992 ein Ereignis sein Leben: Als Beltracchi am Trailer für einen Dokumentarfilm arbeitete, lernte er im Filmstudio Helene kennen: "Ab 1992 waren wir jeden Tag 24 Stunden zusammen." Es war die Liebe seines Lebens – und auch diejenige ihres Lebens, und ein Jahr später heirateten sie, und ein Töchterchen kam zur Welt. Um der kranken Tochter eine Luftveränderung zu verschaffen, fuhren sie in einem Wohnmobil erst durch Europa, dann durch Asien.

2001 kaufte das Ehepaar in Südfrankreich ein landwirtschaftliches Anwesen – für gut zwei Millionen Euro, wie Beltracchi angab. Das Geld stamme aus dem Verkauf des Anwesens in Viersen und aus "Aktiengewinnen". Er habe diese Domäne restauriert, und als Tochter Franziska zwölf war und eine internationale Schule besuchen wollte, 2006, habe er ein Grundstück in Freiburg gekauft, dort ein Haus abgerissen und ein neues gebaut. Die Tochter steht nun kurz vor dem Abitur, der Sohn studiert, ebenfalls in Freiburg. Freiburg war zuerst jedoch nicht der Lebensmittelpunkt der Familie, sondern das Hafenstädchen Mèze am Mittelmeer. Alle zwei Wochen fuhr Helene Beltracchi zu den Kindern. Dann wollten sie dem Nachwuchs näher sein und zogen nach Freiburg um: "Das war auch als Alterssitz für uns gedacht."

Vor Gericht hatte anschließend Helene (53) ihren Auftritt: In Bergisch Gladbach geboren, aus einfachen Verhältnissen stammend, wies sie immer wieder darauf hin, wie viel sie ihrer Mutter verdanke: "Sie hat es immer ermöglicht, mir Bücher zu kaufen", sagte sie – und brach in Tränen aus. Die Sitzung musste unterbrochen werden.

Die Mutter, so ergab sich danach, war auch die treibende Kraft für die Ausbildung von Helene und ihrer Schwester Jeanette Susanne Spurzem (54), die ebenfalls angeklagt ist und wenige Meter neben ihr saß. So schaffte es Helene, von der Zahnarzthelferin zur Betriebswirtin aufzusteigen, als Assistentin der Geschäftsleitung in einem Fotostudio zu arbeiten – und nach einer frühen ersten Ehe ihre große Liebe kennenzulernen. Über Wolfgang Beltracchi sagte sie: "Er ist so warmherzig, sehr humorvoll, er hat das Talent, spontan Dinge zu erfinden. Er ist ein Perfektionist." Da schmunzelte mancher im Saal.

Als Helenes Schwester Jeanette vor Gericht ihr Leben schilderte, kannte man das meiste schon – auch die innige Beziehung, die seit der Kindheit die beiden Schwestern miteinander verbindet. Jeanette ist ebenfalls Betriebswirtin, auch sie hat ihrer Mutter viel zu verdanken. Verheiratet ist sie mit einem Berufsoffizier, wohnhaft in Köln.

Erst als der vierte Angeklagte, Otto Schulte-Kellinghaus (67) aus Krefeld, seinen Lebenslauf vortrug, spitzten die Zuhörer wieder ihre Ohren: Chemielaboranten-Lehre bei Bayer in Uerdingen, Arbeit in einem Pressegroßvertrieb in Krefeld, dann in der Gastronomie, kurze Ehe, Werkzeug-Verkäufer in Ägypten – und immer schon ein großes Interesse an Kunst.

Schulte-Kellinghaus fühlte sich wohl in der Krefelder Szene, "da gab es auch immer was zu feiern". Er hatte Kontakt mit Herbert Zangs (1924–2003), dem Künstler aus dem Umkreis der legendären rheinischen Zero-Gruppe, dem sogar die angesehene Kunstsammlung NRW einmal eine kleine Ausstellung widmete. Schulte-Kellinghaus organisierte Kleinkunst-Veranstaltungen ("Jongleur, Feuerschlucker, einer mit 'ner Hundenummer"), versuchte sich als Musikproduzent auf Ibiza – und stellte jetzt resigniert fest: "Letztlich war ich nie richtig erfolgreich mit der Förderung von Künstlern." Heute bekommt er 700 Euro Rente und Hartz IV.

Sein Großvater hieß Johann Wilhelm Knops. Ob der sich für Kunst interessierte, wollte der Richter wissen. Doch Schulte-Kellinghaus' Anwalt griff ein: Da gehe es schon nicht mehr um die Person, sondern um die Sache – jene dubiose Kunstsammlung, aus der die Fälschungen stammen sollen. Zur Sache aber geht's erst am nächsten Verhandlungstag, dem 27. September.

(RP)
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