Udos wundervoll schöne Welt

Udo Lindenberg feiert auf Schalke mit 40.000 Fans seinen 70. Geburtstag. Und Marius Müller-Westernhagen und Otto Waalkes sind seine Ehrengäste.

Nein, er kommt natürlich nicht einfach auf die Bühne. Er ist nicht einfach nur da. Udo Lindenberg schwebt hinein, darunter macht er es nicht. Vom anderen Ende der Arena schreitet Lindenberg über die Zuschauer hinweg, hoch oben, auf einem Drahtseil. Wie sie sich alle freuen, dass er da ist und wie er sich freut, dass sie da sind: Das ist nicht gespielt, unüberlegt oder blind vor Zuneigung. Da sind auf beiden Seiten Tränen in den Augen, weil man sich so vermisst hat. Das Ruhrgebiet und Udo Lindenberg, die Fans und der Superstar.

Auf Schalke gab er den Auftakt seiner letzten Stadion-Tournee. 40.000 Fans sind gekommen, sie trinken Eierlikör, tragen alberne Hüte und Sonnenbrillen. Sie halten Schilder in die Höhe, auf denen sie Udo zum Geburtstag vor ein paar Tagen gratulieren, als wäre er ihr uralter Kumpel. Und so wird dieses Konzert zur riesigen Geburtstagsparty, aber auch zum rührseligen Abschied. Udo kommt nicht mehr wieder, er ist doch jetzt 70.

Allerdings: Wie er über die Bühne sprintet, ganz hurtig nach vorne und noch schneller wieder zurück zum Mikro, da zweifelt man am Älterwerden. Lindenberg ist nachts mit Kapuze joggen gegangen, um fit zu werden. Das Ergebnis beeindruckt. Mehr als zwei Stunden Konzert geben diese ganzen jungen durchgestylten perfekten Popstars, die nicht einmal halb so alt sind wie Udo, schon lange nicht mehr.

Und Udo, der alte Schlagzeuger aus Gronau, der in Emmerich seine ersten Gehversuche in einer Band wagte, hat sich Freunde eingeladen. Wie man das halt so macht: Die Kumpels aus der Hamburger WG von früher. Marius Müller-Westernhagen verblüfft mit sehr straffem Gesicht und drei Minuten "Sexy", und Otto Waalkes, der Blödel-Barde ("Hallo Schalke, Hallo Otto"), damit, dass er sich nicht verändert. Wenn Udo ruft, kommen alle gern, und Udo freut sich ehrlich: "Yeah, geil, dass du da bist!"

Udo Lindenberg ist ein Superstar, ein riesiger Musiker, der, wenn man ehrlich ist, gar nicht besonders gut singen kann. Der aber so schöne Melodien feiert, der seine Musik selbst so sehr lebt, der unglaublich unnahbar wirkt, dann aber seine Musiker küsst, weil er sie liebt. Auf Schalke spielt er alles: Sonderzug nach Pankow, Cello, die Honky Tonky Show oder das Leben.

Und Udo ist auch politisch, wie eigentlich schon immer. "Was sollen all diese Kriege überall?", fragt er natürlich. "Den Champagner säuft die Waffenindustrie!" Die erntet von Lindenberg einen vom Publikum gefeierten Stinkefinger. Mauern müssen weg, eingestürzt werden, die "Bunte Republik Deutschland" lebt. "Scheiß Mauern, scheiß Betonköpfe." Wir sind alle bunt, ungleich, anders, und das ist auch völlig wunderbar so, findet Udo.

Ach, Udo. Er ist schon so lange da und macht so wunderbare Musik. Er ist ein unprofessioneller Profi, einer, der sich Fehler leistet und erlaubt und sein Handwerk trotzdem so beherrscht wie kaum jemand. Der Sound auf Schalke stimmt, hier und da ist es einen Tacken zu laut, aber bei Rockstar Lindenberg darf es auch einen Tacken zu laut sein. Vielleicht muss es das sogar.

Immer wieder nimmt Lindenberg seine Sonnenbrille ab, zeigt seine Augen, streckt seine Zunge halb heraus. Vielleicht will er sagen: Seht her, ich bin auch ein Mensch. Einer wie ihr, der halt Musiker ist wie andere Dachdecker. Dabei ist er natürlich ein wahnsinniger Exzentriker. Er erzählt die Geschichte von einem Freund, der ihm sagt: "Udo, ich seh' kein Licht mehr am Ende des Tunnels." Und Udo sagt: Keine Panik. "Zusammen packen wir das alles."

Lindenberg tröstet, er ist da wie ein echter Freund. Er spendet Wärme und vor allem: Herzlichkeit. Das ganze Konzert ist in einer so ironischen Welt ein völlig ernstgemeinter unironischer Haltepunkt. Ein Trostpflaster in der Not, eine Schulter, an die man sich anlehnen möchte und es auch gerne darf.

Die Welt von Udo Lindenberg ist wundervoll schön, es gibt die Guten und die Bösen. Er hat sich diesen kindlich-naiven Blick auf die Dinge bewahrt, und ein bisschen beneidet man ihn darum. Aber dass die Welt nicht so einfach ist, dass man als Superstar Kriege auf einer Bühne verurteilen darf, als Politiker aber differenzieren muss, das ist ja klar. Aber Udo macht das alles trotzdem, zum Glück. Wer schenkt uns diesen Blick bloß, wenn Udo wirklich weg ist?

HENNING RASCHE

(RP)
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