Über die Zeit, die noch qualmt

Das Monumentalwerk Heinrich August Winklers zum Westen ist nun komplett

Es ist vollbracht. Bald nach seinem dritten Band zur Phase vom Ende des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) bis zum Fall der Mauer (1989) legt der Berliner Historiker Heinrich August Winkler nun den letzten Band zur Geschichte des Westens vor, die "Zeit der Gegenwart", die bekanntlich noch qualmt. Zur Sprache kommen unter anderem die Beendigung des Bosnienkonfliktes, das Russland Boris Jelzins, der Zusammenbruch des italienischen Parteiensystems, die Vertiefung der Europäischen Union, die Weltfinanzkrise, der so genannte "Arabische Frühling", der verbrecherische "Islamische Staat". Das alles einzuordnen stellt eine schwierige Aufgabe dar, weil vieles im Fluss ist. Der Verfasser hat sie souverän gelöst.

Winkler zeichnet den großen Globalisierungsschub in der gleichsam unipolaren Welt nach. Der Kosovokrieg, geführt ohne ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, löste zumal in Deutschland heftige Kontroversen aus, die ihre Argumentationsmuster aus der Vergangenheit bezogen. Der Parole "Nie wieder Krieg" stand das von Joschka Fischer verfochtene Diktum "Nie wieder Auschwitz" gegenüber. Ausgerechnet die rot-grüne Regierung unterstützte 1999 den von Winkler goutierten ersten Nachkriegs-Einsatz deutscher Soldaten im Ausland. Nach dem Anschlag vom 11. September 2001 und dem "Krieg gegen den Terror" änderte sich das Verhältnis zwischen den Partnern des Westens. Der US- Bellizismus gefiel nicht allen EU-Demokratien, die wiederum mit der europäischen Einigung nicht vorankamen. So scheiterte nach dem französischen "Non" und dem niederländischen "Nee" 2005 der Europäische Verfassungsvertrag. Zu Recht spricht der Autor von einem "Elitenprojekt". Winkler, der in der Vergangenheit mehrfach scharf gegen einen Beitritt der Türkei in die EU focht, urteilt jetzt verhältnismäßig milde und plädiert für eine "privilegierte Partnerschaft". Voller Verve hingegen zieht er wider den "Putinismus" zu Felde. Im Vergleich zu den internationalen Konflikten geraten die Reformen und Kontroversen in den einzelnen Staaten etwas in den Hintergrund.

Winklers "Rückblick und Ausblick" am Ende ist gleichsam eine konzise Zusammenfassung der vier Bände. Hier greift er die Idee des Westens auf, lässt seine Position Revue passieren, läuft er noch einmal zu großer Form auf.

Heinrich August Winkler, der Chronist und Analytiker der politischen Geschichte zugleich ist, präsentiert ein profundes Werk, das faktenreich informiert, argumentationsstark urteilt, Zusammenhänge entfaltet und glänzend formuliert. Die "Geschichte des Westens" ist eine "Geschichte für den Westen", ohne dass der Autor Apologie betreibt. Der vierte Band des Monumentalwerkes stellt den krönenden Abschluss dar.

(RP)
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