Die Pianistin, die aus dem Internet kam

Valentina Lisitsa wurde durch ihre YouTube-Videos bekannt. Jetzt erschien eine neue CD bei Decca,

Wenn es nach ihrem eigenen und dem Willen ihrer Eltern gegangen wäre, dann hätte sie etwas ganz anderes gemacht. Sie wäre vielleicht professionelle Schauspielerin geworden, das hatte sie selbst sich vorgenommen. Ihre strategische Kompetenz führte allerdings zu einem gänzlich anderen beruflichen Aufstieg. Valentina Lisitsa wurde die weltweit erste Internet-Pianistin.

Das Mädchen aus Kiew war früh in die USA emigriert, wo sie mit ihrem pianistisch ebenfalls versierten Ehemann als Duo auftrat. Da die Engagements ausblieben, lud sie 2007 bei YouTube ihr erstes Video hoch, eine Etüde von Sergej Rachmaninow. Der Erfolg war so gigantisch, dass sie weitere Auftritte ins Netz stellte; mittlerweile sind es weit über 200 Videos. Zehntausende Nutzer zählten schon bald zu ihren Fans. Ovationen gab es per Mausklick.

Über ihren Erfolg sagte sie selbst einmal: "Wenn ein großer Musikstar geboren wird, läuft eine riesige PR-Maschine an. Plötzlich sieht man dieses eine Gesicht auf Musik-Magazinen und überall, und dann fangen die Leute an, Sachen zu kaufen, auf denen dieser Name steht. Und bei mir war es genau das Gegenteil: Es kam von unten - die Leute brachten mich hoch, weil sie es wollten."

Jetzt ist diese große Maschine, die sie insgeheim befürchtet hat, dennoch bei ihr selbst angelaufen; insgeheim hat sie es erhofft. Beim international angesehenen Label Decca hat sie jetzt sämtliche Etüden von Frédéric Chopin sowie die Sinfonischen Etüden von Robert Schumann aufgenommen. Und wer diese Einspielungen hört, kann nicht anders als staunen: Er hört ein reifes, überaus stürmisches, aber auch poetisch bewegtes Klavierspiel, das keinerlei Vergleich zu scheuen braucht.

Schon die Dezimen-Brechungen der C-Dur-Etüde op. 10 spielt sie wie ein wahnsinniges Schaufelrad, das hat beinahe etwas Mutwilliges, wie ein trotziger Nachweis, dass das Internet als Materialprüfungsanstalt nicht von schlechten Eltern ist. Auch später wird man immer wieder staunen, wie unerschrocken Lisitsa auch perfide Tempi wagt. Zuweilen bringt sie auch eine donnernde linke Hand ins Spiel, da hört man doch von fern noch russische Schule. Auf der anderen Seite gelingen ihre kostbare Nuancen etwa in der fast totgeorgelten "Revolutionsetüde".

Ihre Schumann-Etüden sind überaus draufgängerisch, ritterlich, chevaleresk, der Komponist ist kein nachdenkliches Schmerzenskind. Auch hier erlebt man pianistisch gehärtetes Klavierspiel ohne Fehl und Tadel. Gelegentlich sollte Valentina Lisitsa der Verführung zur Brillanz widerstehen. Dagegen hätten ihre Fans sicher nichts einzuwenden.

(RP)
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