Filmfestspiele Venedig feiert "Die andere Heimat"

Venedig · Edgar Reitz' furioser neuer Kinofilm spielt im 19. Jahrhundert.

 Regisseur Edgar Reitz (r.) an der Seite seines Sohnes Christian, der den Film produzierte.

Regisseur Edgar Reitz (r.) an der Seite seines Sohnes Christian, der den Film produzierte.

Foto: dpa, Ettore Ferrari

Auch der Lido von Venedig kann Heimatgefühle wecken. Für Edgar Reitz ist in diesen Tagen jedenfalls alles wie früher. Stürmisch wurde seine jüngste, "Die andere Heimat" gefeiert, ein Schwarzweißfilm mit Farb-Elementen, allerdings diesmal im Breitwandformat. Es ist ein grandioser, formvollendeter Film, der seine Erzählfülle meisterlich im Griff hat: Aus allen Enden strömen neue Geschichten ins ärmliche Bauerndörfchen Schabbach in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Vergangenes und Zukünftiges mischen sich am Vorabend der Moderne, die sich mit dem Bau einer kleinen Dampfmaschine durch einen wissensdurstigen jungen Schmied namens Jakob Simon ankündigt.

In dem jungen Darsteller Jan Dieter Schneider fand Reitz für die Hauptrolle ein Naturtalent. Die 230 Filmminuten ziehen wie im Flug vorüber. Den Untertitel, "Chronik einer Sehnsucht", muss Reitz dem internationalen Publikum allerdings erst erklären. "Sehnsucht ist schon wieder so ein deutsches Wort, für das es keine Übersetzung gibt, ebenso wie das Fernweh", sagt Reitz. Letzteres ist nicht schwer zu finden in einer Zeit bitterster Armut. Von der Auswanderungsbewegung mitgerissen, träumt Jakob Simon von Brasilien, er studiert sogar die Dialekte der Indianer. Dann aber kommt ihm sein Bruder zuvor und ergreift heimlich die Initiative.

"Es war uns nicht möglich, einen solchen Ort in Deutschland zu finden, der noch so aussähe wie im 19. Jahrhundert. Die Schlösser überlebten, aber an diese Not erinnert nichts mehr. Jede Fassade, die man sieht, haben wir im Hunsrück aufgebaut", sagt Reitz. Die Architektur und die Schichten des Erzählens greifen nahtlos ineinander, ebenso wie der historische Realismus in der Ausstattung mit einer märchenhaft-romantischen Ausleuchtung verschmilzt. Gernot Rolls Kamera ästhetisiert dabei weniger die Armut als einen verborgenen Reichtum: im Handwerk, in der Naturschönheit, in den Gesichtern. Und die großzügige Erzählzeit gibt abermals allen Raum für einen Überschuss an tragikomischen Details. Kein Wunder, dass das italienische Publikum begeistert ist — man denkt an "Don Camillo und Peppone".

(RP)
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