Düsseldorf Versuch über die Trauer: "Blaue Stunden" von Joan Didion

Düsseldorf · Hoffentlich entdeckt Deutschland nun diese Autorin, hoffentlich wird sie jetzt auch hier gelesen. Die New Yorker Schriftstellerin Joan Didion ist 77 Jahre alt, und seit fünf Jahrzehnten analysiert sie in ihren Essays die Gegenwart. Sie begann mit den großen Gestalten des New Journalism, dieser sehr subjektiven Form des Berichtens, mit Tom Wolfe also, Norman Mailer und Truman Capote. Aber ihr Stil ist bei aller Eleganz schärfer als der der Kollegen, schneidend intellektuell; am nächsten steht ihr wahrscheinlich Susan Sontag. Die Unterstützung der Contras in Nicaragua durch Präsident Nixon interessierte sie ebenso wie die Filme John Waynes, die konservative Revolution des Newt Gingrich und die Musik von Joan Baez. Sie veröffentlichte in "Vogue" und "New Yorker", sie schrieb Drehbücher für die Filme "A Star Is Born" und "Panik im Needle Park" und legte fünf Romane vor, von denen "Demokratie" aus dem Jahr 1984 der beste ist.

Nun ist ihr neues Buch erschienen. "Blaue Stunden" handelt von der Trauer. Didion schrieb es nach dem Tod ihrer 39-jährigen Adoptivtochter Quitana. Sie starb nach langer Krankheit, auf eine Lungenentzündung folgte ein septischer Schock, dann das Koma, später eine Bauchspeicheldrüsenentzündung. Didion analysiert die Trauer, beschreibt die Atemnot, das Kältegefühl und die Übelkeit, die sie verursacht. "Das hätte ihr nie zustoßen dürfen", sagt ein Freund zum Trost, und Didion antwortet: "Wenn wir über Sterblichkeit reden, reden wir über unsere Kinder."

"Blaue Stunden" knüpft an Didions Bestseller "Jahr magischen Denkens" von 2006 an, darin berichtet sie vom plötzlichen Tod ihres Mannes, mit dem sie 40 Jahre verheiratet war. John und Quitana waren ihre Familie, beide sind fort: "Jetzt war noch einer übrig." Didions Schreiben ist ein Fragen, sie hinterfragt Sprache und Konvention, und am Ende entdeckt sie die Wahrheit. Dass Elternschaft Angst bedeutet, etwa, und dass es dennoch schön ist, mit dieser Angst zu leben. Und nun? "Alles vorbei." Keine Angst mehr. Bin ich mit unserer kostbaren Lebenszeit sorgfältig genug umgegangen? Sich erinnern heißt leiden. Im Nachdenken über die größten Verluste ihres Lebens reflektiert sie das Altsein. Sie seziert ihre Schwäche, aber nicht als Moralistin, sondern nüchtern. "Das Alter ist das Ende der Versprechen."

Alle Bücher Didions sind ins Deutsche übersetzt worden, sie waren rasch vergriffen, und neben dem neuen sind nur drei weitere lieferbar. Man sollte sie alle lesen, sich von ihrer Wahrhaftigkeit verblüffen lassen. Didion macht die Vergänglichkeit erträglich.

(RP)
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