Vertreibung aus dem Paradies

Nach seinem Bestseller "Königsallee" hat der Schriftsteller Hans Pleschinki jetzt einen großen Roman über Leben, Werk und Tod von Gerhart Hauptmann geschrieben - er heißt "Wiesenstein".

In seinem Roman "Königsallee" (2013) beschrieb Hans Pleschinski ein - fiktives - spätes Wiedersehen zwischen Thomas Mann und seiner Jugendliebe Klaus Heuser im Düsseldorf des Jahres 1954. Jetzt hat er wieder einen Roman über einen deutschen Großschriftsteller geschrieben, und er ist womöglich noch gelungener. "Königsallee" war nur eine erweiterte Novelle, "Wiesenstein" aber - in siebenjähriger Arbeit entstanden - ist nicht nur ein großer Roman über Gerhart Hauptmanns letztes Jahr im schlesischen Agnetendorf, sondern auch eine gut recherchierte Hauptmann-Biografie (mit bislang unveröffentlichten Quellen wie etwa dem Tagebuch von Hauptmanns Frau Margarete). Es ist ein grandioses Klagelied auf den Untergang des deutschen Schlesien und der deutschen Kultur überhaupt und nicht zuletzt auch ein Appell für Menschlichkeit gegenüber Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, damals wie heute.

Gerhart Hauptmann ist heute nicht mehr so bekannt wie sein großer Antipode Thomas Mann; vor 1945 war es umgekehrt. Thomas Mann empfand schon die Namensklimax Mann-Hauptmann als Beleidigung und litt schwer darunter, dass der "Volkskönig" Hauptmann populärer und reicher war als er. Im "Zauberberg" karikierte er seinen Rivalen als volltönend stammelnden Mijnheer Peeperkorn. Hauptmann war tatsächlich Stotterer und improvisierte manchmal Dunkles: "Geheimnisvolles Gemurmel im Allschlaf der Wachen. Es ist, was sei. Darum".

Aber Hauptmann, der "überbordende Allgeist", war auch nicht so intellektuell verkniffen und hochnäsig wie "Doktor Spitz", wie er Thomas Mann nannte. Der "Gewerkschafts-Goethe" hatte ein großes Herz für die Armen, Schwachen und Verrückten, er war ein guter Gastgeber, verlässlicher Freund, dionysisch trinkfest, geschwätzig. Kultur war für Hauptmann, der seinem Vorbild Goethe immer ähnlicher wurde, "fleischliche Bildung zu kraftvoll gefestigter, heiterer, heldenhaft freier Menschlichkeit".

Während Thomas Mann 1933 ins Exil ging, richtete sich Hauptmann im Dritten Reich ein: "Ich bin für Kompromisse, weil ich die äußere Bequemlichkeit brauche, um mich meinen inneren Gegensätzen widmen zu können". Hauptmann paktierte nicht mit den Nazis, aber er ließ sich instrumentalisieren. Goebbels hasste ihn, aber der Alte vom Wiesenstein war unantastbar und brauchbar als Aushängeschild.

Selbst im Frühjahr 1945 noch genoss Hauptmann Privilegien. Eine Sekretärin, ein Archivar und sein Eckermann Gerhart Pohl notierten seine Worte, livrierte Butler servierten Champagner und Braten, Masseur Paul Metzkow walkte das welke Fleisch. An diesem Punkt setzt Pleschinskis Roman ein. Hauptmann und sein Tross passieren auf dem Rückweg aus der Kur das zerstörte Dresden. Überall herrscht Chaos und Verzweiflung, der Geistesfürst will nur noch heim in seine Burg. Zuhause in Wiesenstein versucht man noch die Form zu wahren, aber in den Straßengräben liegen die Toten, an den Bäumen baumeln die Körper von Hingerichteten und Gelynchten. Hauptmann blieb, weil er "ein Gedanke an Kultur in meinem Land" bleiben wollte. Jetzt erkennt er bitter: "Mein Schicksal ist nun deutscher als ich es je wollte."

Pleschinski konfrontiert und parallelisiert - nicht immer ganz elegant -, den Verfall des greisen Schriftstellers mit dem Untergang des alten Deutschland, die Erfahrung von Krieg, Hunger und Vertreibung mit einem Werk voll strahlender Daseinslust, Sinnlichkeit und "Renaissance-Radau". "Wo Hauptmann ist, ist Deutschland", hatte es immer geheißen, jetzt flüstert man sich in Agnetendorf zu: "Wenn Hauptmann geht, ist es aus." Der russische Oberst Sokolov hält seine schützende Hand über ihn, aber seine Schutzbriefe gelten nicht mehr viel. Aus Ostberlin reist Johannes R. Becher an und bietet seinem Idol Zuflucht und eine leuchtende Zukunft als DDR-Arbeiterdichter an. Zu spät: Hauptmann stirbt am 6. Juni 1946. Sein letztes Wort soll die Frage "Bin ich noch in meinem Haus?" gewesen sein.

Hauptmanns Trutzburg Wiesenstein ist heute ein schmuckes Museum, die berühmte Paradieshalle wurde renoviert. "Wiesenstein" ist Pleschinskis "Vom Winde verweht": Ein großes Epos über den Untergang einer Epoche, einer Landschaft, eines großen Schriftstellers, das bei aller Trauer und Wehmut auch ein Stück der Hoffnung enthält.

(RP)
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