Düsseldorf Villazón amüsiert sich über die Kunstwelt

Düsseldorf · Der Startenor inszeniert "Don Pasquale" an der Rheinoper und erzählt von Musen, Malern - und dem schönen Schein.

So groß war das Gedränge noch nie bei einer Premierenfeier der Rheinoper. Alle wollten miterleben, wie Intendant Christoph Meyer die Künstler empfing. Die lassen gewöhnlich auf sich warten, und die Regisseure kommen oft zuletzt. Diesmal aber mussten die Fans mit ihren gezückten Smartphones sich nicht lange gedulden, denn Rolando Villazón war rasch zur Stelle, um - nach den Ovationen im Saal, bei denen er schon am meisten abgesahnt hatte - das fällige Bad in der entzückten Menge zu nehmen. Auch Düsseldorfs Oberbürgermeister, Thomas Geisel (SPD), ließ es sich nicht nehmen, dem Tenorstar und Multitalent seine Aufwartung zu machen. Christoph Meyers Rechnung ist aufgegangen, denn offenbar sichert die Verpflichtung einer medial hoch gehandelten Figur wie Villazón tatsächlich maximale Aufmerksamkeit.

Rolando Villazón ist ein Phänomen und derzeit eine der stärksten Marken überhaupt im immer weiter über das Kerngeschäft hinausgreifenden Klassik-Markt. Berühmt wurde er als attraktiver Tenor mit Starkstrom-Temperament, Samt-Timbre und beweglichen Augenbrauen. Schnell wurde er vom Markt zum Superstar hochgejazzt, manche behaupten gar, verheizt, denn bald bremsten ihn Stimmkrisen. Seine sprühende Kreativität war jedoch nicht aufzuhalten, und so baute er seine weiteren Talente aus. Der Unermüdliche moderiert Talkshows, gerade hat er seinen zweiten Roman "Lebenskünstler" veröffentlicht, er zeichnet Cartoons, macht Werbung und seit einigen Jahren wird er auch als Opernregisseur gebucht. Es ist unmöglich, ihn nicht zu mögen, den begnadeten Selbstdarsteller seiner vielen Rollen: Villazón, der selbstironische Tenor, der Grimassen schneidende Clown, der nette Kerl von nebenan im lässigen T-Shirt und der nachdenkliche Intellektuelle mit schwarzer Nerd-Brille.

Mit Donizettis komischer Oper "Don Pasquale" hat er sich erklärtermaßen zunächst etwas schwer getan. Denn er hält die Variante der alten Commedia-dell'-Arte-Geschichte vom Geizkragen, der sich spät auf Freiersfüße begibt und nur mittels recht boshafter Intrigen zur vermeintlichen Vernunft gebracht wird, in ihrer Moral für altbacken. Tatsächlich mag man Donizettis Werk heute kaum folgen, insbesondere die Schlussszene, die den zweieinhalb Stunden als lächerliche Figur ausgestellten Don ruckzuck zum versöhnten Weisen adelt, ist dramaturgisch bestürzend dürftig und banal gebaut. Man mag das Happyend nicht glauben. Sollte man vielleicht auch nicht. Was einen schönen Deutungs-Hebel ergeben könnte.

Aber Rolando Villazón ist kein Regisseur, der nach bösen Subtexten oder den perfiden Kontrapunkten der Komödie wühlt. Villazón verlegt die Geschichte kurzerhand auf eine Meta-Ebene und regt einen Kunst-Diskurs an. Johannes Leiackers Bühne zeigt statt Rom um 1840 ein schickes Loft, durch dessen Werkstatt-Fenster Sacré-Cœur und der Eiffelturm grüßen. Auf Staffeleien sind Meistwerke der Kunstgeschichte aufgebaut, denn der Hagestolz ist in Villazóns Lesart ein konservativer Kunstsammler alter Meister, der angetan mit Cordhose und englischer Weste im Paris der 1970er Jahre unterwegs ist. Dort toben die Umwälzungen der Flower-Power-Zeit. Norina ist eine Künstlermuse, ihr Geliebter Ernesto - Pasquales Neffe - Popart-Künstler. Entsprechend quietschbunt ist das Umfeld: Als Running Gag fungiert die dazu erfundene Rolle des maskierten Kunst-Diebs - der sich später als Diebin erweist - , der sich immer wieder vergebens vom Bühnenhimmel abseilt, Hippies und Kiffer hängen herum, Gilbert & George performen, der Notar ist ein fusselbärtiger Hare-Krishna-Jünger, und am Ende drapiert sich der Chor als geclonte Paare von Mona Lisas und Andy Warhols. Das soll uns sagen, dass es vor allem um einen Streit zwischen altertümlicher Moral und freier Liebe und zugleich um den Streit zwischen alter und neuer Kunst geht. Den hat es zwar - wenn überhaupt - viel früher gegeben und sicher nicht zwischen Leonardo und Andy Warhol, aber sei's drum: Am Ende sind dann alle glücklich versöhnt, und der übel gefoppte Don macht der Diebin schöne Augen. Villazón These ist schlicht, nicht unbedingt ergreifend, aber sie ermöglicht dem Regisseur eine Fülle von Anspielungen und Bildern mit hohem Wiedererkennungswert. Wenn etwa eine Szene in Edward Hoppers berühmter "Nighthawks"-Bar spielt oder eine andere vor Magrittes "L'empire des lumières".

In der Personenführung setzt Villazón bewusst auf plakative Situationskomik und scheut auch den Klamauk nicht. Das Geschehen bleibt ständig auf Trab und die spürbar motivierten Sänger lassen sich gern auf Villazóns rasantes Tempo ein. Nur Gutes ist von der musikalischen Seite des Abends zu vermelden: Nicholas Carter hat im Graben zwar anfangs noch mit ein paar Unschärfen zu kämpfen, aber die Sänger machen allesamt bella figura: Allen voran der große Lucio Gallo in der Titelrolle, der trotz Dauer-Intrigenbeschuss mit dezenter Komik seine Würde wahrt und mit herrlichem Parlando aufwartet, dicht gefolgt von Mario Cassi als Doktor Malatesta, der kurzfristig für den erkrankten Dmitri Vargin eingesprungen ist und sich stimmlich imponierend und darstellerisch souverän in die kleinteilige Inszenierung einfindet. Ioan Hoteas höhensicherer, leider etwas eng mensurierter Tenor als Ernesto fällt dagegen etwas ab. Der eigentliche Star des Abends aber ist einmal mehr Elena Sancho Pereg als freche Norina, deren Champagner-Sopran auch noch in den höchsten Lagen prickelt. Ein unterhaltsamer, temporeicher Abend ohne Grübelfalten mit herausragenden Sängern.

(RP)
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