Essen Van Gogh kommt uns japanisch vor

Essen · Wie eine Mode begann der Japonismus Mitte des 19. Jahrhunderts, die Kunst Europas zu erobern. Das Essener Museum Folkwang erinnert daran, wie europäische Maler japanische Motive und Kompositionsprinzipien übernahmen.

In manchen Bildern erklärt sich der Begriff "Japonismus" von selbst. Wenn Vincent van Gogh in seinem Gemälde "Japonaiserie (nach Kesai Eisen)" von 1887 eine Kurtisane zeigt, deuten schon der Gesichtsausdruck der Dame und der Zuschnitt ihres Gewands darauf hin, dass der Künstler sich von japanischen Holzschnitten hat inspirieren lassen. Andere Bilder geben bei der Suche nach japanischem Einfluss Rätsel auf. Derselbe van Gogh nämlich scheint seinem Publikum im Gemälde "Rhonebarken" ein rein europäisches Motiv vorzusetzen: Zwei Lastkähne, einer davon französisch beflaggt, sind am Ufer vertäut. Derjenige mit der Flagge wird von Arbeitern entladen. "Das Wasser", so beschrieb van Gogh die Entstehung des Bildes, "war von einem trüben Perlgrau und Weißgelb, der Himmel lila und im Westen mit orangenen Streifen, die Stadt violett. Auf dem Kahn gingen und kamen kleine schmutzige blau-und-weiße Arbeiter und trugen die Ladung an Land - ein reiner Hokusai." Van Gogh fühlte sich also beim Anblick der Szene an Bilder von Katsushika Hokusai erinnert und bediente sich insgeheim der Kompositionsprinzipien dieses japanischen Malers.

Die Ausstellung "Monet, Gauguin, van Gogh . . . Inspiration Japan" im Essener Museum Folkwang veranschaulicht nicht nur, wie europäische Maler die Kunst Japans für sich entdeckten, sondern liefert dazu auch Beispiele der japanischen Malerei, die die Grundlage bildeten. 200 Jahre lang hatte sich Japan von der Welt abgekapselt. Als es sich 1854 politisch und wirtschaftlich öffnete, lehrte seine Kultur den Westen das Staunen. Nach der China-Begeisterung des Rokoko folgte nun eine zweite asiatische Welle, auf der die Künstler des Westens ritten.

Die Schau in Essen spannt ihre Besucher auf die Folter, denn sie führt sie zunächst einmal durch mehrere Säle mit japanischer Kunst - vorbei an zahlreichen Objekten, die Karl Ernst Osthaus, der Gründer des Museums, einst sammelte, und Leihgaben aus aller Welt: Masken, Holzschnitten und seriellen Darstellungen von Hokusai und Hiroshige. Solchermaßen gewappnet betritt man den Japonismus-Teil der Ausstellung und lernt, dass sich Japonismus in dreierlei Gestalt ausdrückte: Entweder pflanzten die Maler ihren Bildern japanische Motive ein, oder sie übernahmen japanische Bildsujets für die Darstellung ihrer eigenen, europäischen Umgebung - oder sie verinnerlichten die Bildsprache des japanischen Holzschnitts ähnlich wie van Gogh im Falle seiner "Rhonebarken".

Diese Verinnerlichung stellt sich rasch als die höchste Kunst des Japonismus heraus. Der Saal, der ihr gilt, ist einer der beiden schönsten. Bilder von Edgar Degas sind dort zu sehen, Ballettszenen, die stilistisch auf die Mangas von Hokusai Bezug nehmen, dazu van Goghs "Sämann bei Sonnenuntergang", dessen diagonale Bildteilung, Nahsicht und Flächigkeit Hiroshiges Blatt "Der Pflaumengarten von Kameido" ähnelt, wie der Katalog erklärt. Als Publikumsliebling dürfte sich indes Saal zehn herausstellen, ",Ein Traum vom Fernsten Osten' - Monets Garten in Giverny". In Giverny in der Normandie, wo Claude Monet sein Grundstück mit Teich und Brücke unter anderem nach japanischen Vorbildern gestaltete, malte er Schwertlilien und am Ende ausschließlich Seerosen auf der spiegelnden Oberfläche seines Teichs. Mehrere Versionen dieses Motivs - unter anderem Leihgaben aus New York und Moskau sowie Werke aus dem Eigenbestand des Museums Folkwang - sind nun für die Dauer der Ausstellung in Essen vereint.

Monet kannte Japan nur aus Abbildungen japanischer Kunst. Auch die übrigen Japonisten waren niemals selbst im Lande. Geschichte und Gegenwart des fernen Staates interessierten sie kaum. Für sie bedeuteten Motive aus dem asiatischen Land eine Bereicherung der europäischen Kunst, eine Neuerung, die dem Impressionismus noch einmal einen Kick versetzte. Dem letzten der zwölf Ausstellungssäle ist der Hinweis vorangestellt, dass es dort zu "Irritationen" kommen könne. Das Kabinett gibt nämlich Einblick in Picassos Spätwerk, in die erotische Variante des Japonismus.

Nicht nur Picasso, auch Degas, Henri de Toulouse-Lautrec und Auguste Rodin sammelten japanische Shunga - "Frühlingsbilder" mit kunstvoll verknäuelten Paaren, die ihr Glück im siebenten Himmel genießen. Picasso bereitete es sichtlich Vergnügen, seinen Teil zum Obszönitäten-Kabinett beizutragen. Es scheint, als habe er mit dieser am Lebensende zur Schau gestellten Lust noch einmal seine Schöpferkraft ausstellen wollen.

Die Essener Schau ist das, was man einen Blockbuster nennt: eine Ausstellung, die mit großen Namen Publikum anlocken will. Doch sie wirkt nicht so kommerziell, wie die drei Titanen im Titel es vermuten lassen. Immerhin nimmt sie sich viel Zeit für die japanische Kunst und setzt im Impressionismus des Westens Akzente auch abseits von Monet, Gauguin und van Gogh.

(RP)
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