"Wagner ist die Hölle"

Johan Simons, der neue Intendant der Ruhrtriennale, möchte in seiner ersten Spielzeit über den Wert der Arbeit nachdenken - und inszeniert in der Bochumer Jahrhunderthalle "Rheingold".

Gelsenkirchen Von den Münchner Kammerspielen kommt Johan Simons zurück ins Ruhrgebiet. Schon unter dem Gründungsintendanten, Gerard Mortier, hat er bei der Ruhrtriennale inszeniert. Nun ist der Niederländer der neue Intendant des Festivals.

Sie stellen Ihrer ersten Spielzeit bei der Ruhrtriennale Schillers "Seid umschlungen" voran. Sie wollen dem Zuschauer also zu nahe treten?

Simons Ja, das auch. Das Motto soll heißen: "Sei umarmt". Denn das Ruhrgebiet ist eine so dynamische Region, dass es viele Orte gibt, die selbst die Einheimischen nicht kennen. Darum verfährt man sich hier auch ständig. Ich möchte die Region also umarmen, um ihr zu zeigen, dass sie in all ihrer Vielfalt, mit all den Identitäten, Nationalitäten, Religionen zusammengehört. Aber natürlich kann man dem Gegenüber auch die Luft nehmen, wenn man es umschlingt. Mir geht es also auch darum, dass genug Luft bleibt für eine Auseinandersetzung miteinander. Dieses Festival ist nicht nur für die Kenner, sondern auch für die, die nie ins Theater gehen.

Sie mögen die Region, obwohl Sie aus dem mondäneren München zurückkehren?

Simons Ja, das Ruhrgebiet ist keine Region, mit der man Mitleid haben müsste. Hier trifft man auf die ganze Welt, es gibt so unterschiedliche Landschaften und Milieus wie sonst nirgends. Heute habe ich mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das Bergwerk Auguste Victoria besucht, und war 1100 Meter unter dem Boden, das war beängstigend und beeindruckend. Das Ruhrgebiet ist meiner Heimat, den Niederlanden, viel ähnlicher als München. Für mich ist das ein bisschen wie Heimkehren.

Sie haben bei der Präsentation Ihres Programms gesagt, Sie wollten in Ihrer Intendanz auch unangenehme Fragen stellen. Welche?

Simons Zum Beispiel die nach dem Wert von Arbeit in unserer Gesellschaft. Ich identifiziere mich zum Beispiel sehr über meine Arbeit. Das können andere Menschen aber nicht, weil es für sie gar keine Arbeit gibt. Wir müssen also darüber nachdenken, woran wir in Zukunft unsere Identitäten festmachen wollen, was andere Werte sein könnten als das Arbeiten.

Was zum Beispiel?

Simons Das müssen wir herausfinden. Ich denke natürlich zum Beispiel an die Kunst, die Identität stiften kann. Wir müssen jedenfalls im Blick haben, dass es in unserer Gesellschaft sehr viele Arme gibt. Dass die sozialen Schichten auseinanderdriften. Dass es viele Menschen gibt, die überhaupt keine Chancen haben. Natürlich setzt das Aggressionen frei. Diese Entwicklung erleben wir gerade, darum beschäftige ich mich als Künstler immer wieder mit dem Thema Arm und Reich. Oder dem der Integration von Flüchtlingen. Die Aggressionen nehmen zu, und ich verstehe auch warum.

Inszenieren Sie darum zum Auftakt "Accattone" - Pasolinis Geschichte über einen Arbeitslosen, der am Rande Roms vor die Hunde geht?

Simons Ja. In diesem Milieu steht der Arbeitslose an höchster Stelle in der Hierarchie. Accattone, der Taugenichts, fragt jeden in seinem Umfeld, warum er überhaupt arbeiten gehe, das lohne sich doch nicht. Er untergräbt also unsere Wertevorstellungen. Und das unterlegt Pasolini mit Passionsmusik von Bach, das ist eine Leidensgeschichte, Accattone ist ein Anti-Held.

Bei der Ruhrtriennale fahren aber auch die teuren Autos vor - Ihre Besucher sind keine Accattones.

Simons Das stimmt, aber gerade für die wohlhabende Klientel ist es wichtig zu sehen, wie es weniger Wohlhabenden geht. Wir haben den Auftrag, Leute zu sensibilisieren. Bei der Ruhrtriennale steht die Tür aber auch immer offen für ein Publikum, das nicht zu den regelmäßigen Theatergängern gehört. Damit beschäftige ich mich sehr. Darum spielen wir jetzt auch in Dinslaken-Lohberg. Und beschäftigen uns auch mit der Kritik der Menschen, die dort wohnen und nicht sehen, was ihnen das bringen soll, wenn nun Künstler bei ihnen im Viertel Theater machen. Sie sollen und müssen gehört werden, darüber wollen wir diskutieren.

Sie glauben an die soziale Wirkung von Theater?

Simons Ja.

Viele Kollegen sind da pessimistischer.

Simons Ich bin auch sehr pessimistisch, wenn ich auf die Gegenwart schaue. Aber ich möchte meinen Kindern nicht nur negative Botschaften geben. Wenn wir untergehen, sollten wir das mit offenem Blick und viel Mut tun. Nicht aufgeben.

Warum haben Sie in Dinslaken-Lohberg einen neuen Spielort gesucht? Ihr Festival ist doch schon riesig.

Simons Wir möchten an Orten spielen, wo es nie Theater gab, damit auch die Realität der Orte eine große Rolle spielen kann. So ist das Festival gemeint. Wenn Sie in der Bochumer Jahrhunderthalle Theater erleben, dann ist das zwar inzwischen eine schöne Halle, aber man sieht immer noch, dass dort früher andere Arbeit geleistet wurde. Bei den Aufführungen gibt es anfangs immer noch Tageslicht, das wird dann immer schwächer, bist das Theaterlicht ganz zur Geltung kommen kann. Die Geschichte dieser Halle, die Geschichte der Industrie im Ruhrgebiet spielt also noch immer eine Rolle. Die Wirklichkeit ist im Stück immer präsent.

Auch, wenn Sie sich an Wagner wagen und sein Rheingold inszenieren?

Simons Ja. Das Stück hat Wagner speziell fürs Ruhrgebiet geschrieben. Die Ruhr, der namengebende Fluss der Region, mündet in den Rhein, und die Kohle ist das Gold. Es geht um die Lust auf Gold, auf viel Geld, um die Gier. Das Stück handelt vom Beginn des Kapitalismus. Eigentlich ein böses Stück.

Schlingensief hat gesagt, Wagner habe ihn krank gemacht.

simons Man kann an Wagner verzweifeln, obwohl die Musik unglaublich schön ist. Wagner ist für jeden Regisseur eine Hölle. Aber ich war heute ja schon unter Tage, ich habe die Höllenfahrt schon hinter mir.

(RP)
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