Was vom Prinzip Hoffnung geblieben ist

Vor 25 Jahren kollabierte der reale Sozialismus. Doch die Welt ist seitdem nicht friedlicher und die Zukunft nicht sicherer geworden. Der Düsseldorfer Politologie-Professor Stefan Bajohr registriert das Aufkommen alter und neuer Machtansprüche und fragt, was in den 225 Jahren seit der Französischen Revolution aus deren Versprechen "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" geworden ist.

Brüderlichkeit gibt es in dieser "Weltgeschichte" nicht. Diese Geschichte schaut nicht nur nach Europa und Nordamerika, sie ist eine Chronik der Brutalität. Bajohrs weiter Blick, der die Kolonialgeschichte und die Neu-Besiedlung der beiden Teile Amerikas einschließt, zeigt: Der Glaube an den Fortschritt war schon im 19. Jahrhundert von Blut durchtränkt, nicht nur das 20. Jahrhundert - und nicht nur dessen erste Hälfte. Die Gleichheit vermisst Bajohr. Der Kapitalismus höhle - besonders in den USA - die Demokratie aus. Er enttäusche die Hoffnung auf allgemeinen Wohlstand, spalte die Menschheit in machtvolle Reiche und einflusslose Arme. Freiheit - oft eine Illusion. Bajohrs Gesellschaftskritik ist von Karl Marx inspiriert.

Auch die kommt am Scheitern des realen Sozialismus nicht vorbei. Entsprechend hart ist Bajohrs Beschreibung der Sowjet-Herrschaft ausgefallen. Die Utopie ist bescheiden geworden, äußert sich vor allem als Kritik. An den USA, an Nationalismen aller Art, an der Religion (oft an freiheits-feindlichen Aktionen der katholischen Kirche). Das "Prinzip Hoffnung" wird nicht mehr wie bei Ernst Bloch, pathetisch beschworen, sondern als klein und machbar dargestellt. Die Demokratie müsse "den Ausgleich von Freiheit und Gleichheit" suchen. Produktionsmittel sollen weiter privat verfügbar sein. Aber gebunden an Größenordnungen und Mitbestimmung. Klingt fast wie Ludwig Erhard. Ärgerlich ist Bajohrs Kotau vor der politischen Korrektheit. Da entstehen auch schon einmal Wortungetüme wie "Ureinwohner/innenschaft" oder Unaussprechlichkeiten wie "agrarmanageriale Despotie". Und das kommt in einem Buch vor, das gern Friedrich Engels kurz und knackig zitiert.

Stefan Bajohr: Kleine Weltgeschichte des demokratischen Zeitalters, Springer VS, 572 S., 14 Abbildungen, 39,99 Euro, Hörbuch 29,99 euro

(RP)
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