Campino im Interview "Was war der Preis für meinen Lebensweg?"

Düsseldorf · Campino spricht im traditionellen Interview zum Jahresende über schriftstellerische Pläne, seinen Respekt für den gestorbenen Udo Jürgens und ein neues Album der Toten Hosen.

 Campino (52) im Düsseldorfer Medienhafen.

Campino (52) im Düsseldorfer Medienhafen.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Das Restaurant "Roberts Bistro" im Düsseldorfer Medienhafen. Es ist Mittagszeit, weißes Tuch liegt auf den Tischen, daran sitzen Anzugträger aus umliegenden Büros. Campino trinkt Kaffee an seinem Platz nahe der Küche. Man spürt dem 52-Jährigen die Hektik der vergangenen Wochen an: die Aufregung um sein Engagement für Band Aid 30. Die Geschichte mit Angela Merkel, die Campino anrief, um sich für den Einsatz von "Tage wie diese" im Wahlkampf zu entschuldigen. Das Buch über die Toten Hosen. Aber nun geht das Jahr zu Ende - Zeit zum Durchatmen.

Ich habe Dir etwas mitgebracht: das Buch "Herkunft" von Botho Strauß. Der Autor erzählt darin, wie er in seine Heimat fährt, um die Wohnung seiner Mutter aufzulösen. Dann setzt die Erinnerung an eine Kindheit in der Bundesrepublik ein.

Campino Hochinteressant. Danke. Das interessiert mich sehr.

Ganz ehrlich: Genau so ein Buch, ein Buch mit diesem Thema, privat und doch politisch - das könnte ich mir von Dir vorstellen.

Campino Du sprichst da was an. Das ist etwas, das in mir rumwühlt. Ich würde unheimlich gerne ein Buch schreiben. Aber wenn ich das in Angriff nähme, bräuchte ich totale Ruhe und Geduld. Und dann müsste ich aus dem Betrieb raus. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, solange ich in dieser Band bin. Aber wenn das mal zu Ende ginge, würde es mich sehr reizen, ein Buch zu schreiben.

Ein Buch über die Familie?

Campino Allein der Anlass dieses Buchs von Botho Strauß, die Haushaltsauflösung der Eltern. Da hat es bei mir sofort klick gemacht. Ich sehe mich dabei gerade selber, wie ich nach dem Tod meines Vaters an den Schreibtisch ging und die Schubladen aufmachte.

Was ging damals in Dir vor?

Campino Man ahnt: Man wird viel sehen, was man nicht entdecken wollte, aber du musst es machen, du musst ja ausmisten. Und das Bild dieses Menschen, der dein Vater war, das vervollständigt sich. Man kennt selbst seinen Nächsten nie komplett. Aber das Ausräumen der Sachen, das Sortieren der Angelegenheiten von Menschen, die gestorben sind, spült etwas hoch. Und das ist die letzte konkrete Information, die man von ihnen dann noch erhält.

Das Buch würde vom Vater handeln?

Campino Das erste Mal darüber nachgedacht habe ich, als ich die Briefe von meinem Großvater an meinen Vater und von meinem Vater an meinen Großvater gelesen habe, die sie sich in den Jahren 1937 bis 1946 geschrieben haben. Meine Familie hat eine ganze Kiste davon. Viele Briefe sind gerettet worden. Zum Beispiel schreibt mein Großvater meinem Vater an die Front, und mein Vater antwortet. Das liest sich krass, weil auf diesen Schreiben kein Zeitfilter liegt. Manchmal denke ich, das sind Geschichten, die kann man nicht einfach liegen lassen. Familienhistorie kann spannend sein.

Kennst Du die Lebensgeschichte von Udo Jürgens: "Der Mann mit dem Fagott"?

Campino Ja, die Geschichte hat einen tollen Ansatz und richtig gute Momente. Sowas würde mich auf jeden Fall reizen.

Udo Jürgens war der Beleg für die These, dass bei großen Künstlern die Biografie ebenso interessant ist wie das Werk. Drei Wochen vor seinem Tod trat er in Düsseldorf auf, und ich . . .

Campino Warst Du da?

Ich war da. Zum Glück.

Campino War es gut?

Es war großartig. Es ging nicht mehr nur um Musik, es ging um mehr.

Campino Weißt Du was? Ich bin auch hingegangen. Weil ich wissen wollte, wie er seine Abende gestaltete. Und ich war beeindruckt. Es war manchmal rührend, und da war auch eine Lebensweisheit in seinen Liedern und Ansagen drin. Und auch wenn das manchmal ein bisschen viel wurde: Der durfte das.

Udo Jürgens ist im Alter immer interessanter geworden.

Campino Auf jeden Fall. Ich fand das Widersprüchliche, Selbstkritische und Insichgekehrte einerseits und das Agieren auf Augenhöhe mit dem Publikum anderseits so toll. Er gestand den Leuten ja auch zu, dort abzufeiern. Es ist für mich wichtig, dagewesen zu sein. Als Kind habe ich "Griechischer Wein" als relativ kitschigen Schlager wahrgenommen. Und erst jetzt wird mir klar, dass Udo Jürgens vorneweg galoppiert ist mit diesem Lied über Leute, die nach Deutschland kommen und Sehnsüchte nach ihrem alten Zuhause haben. Auf eine unheimlich bescheidene und menschliche Art und Weise stellte er ein Schicksal dar.

Lass uns zu Deiner Biografie zurückkehren. Im Buch "Am Anfang war der Lärm", das Philipp Oehmke über die Toten Hosen geschrieben hat, sagt Dein Bruder John über Dich: "Der Preis für das Glück, das man anderen schenkt, sind die erschwerten Bedingungen für das Glück im eigenen Leben."

Campino Das war ein Satz, bei dem ich etwas geschluckt habe. Das ist normalerweise etwas, das ich streichen würde, weil es mir zu nahe geht.

Er ist sehr persönlich. Ich habe mich gewundert, dass Du ihn stehen gelassen hast.

Campino Mein Bruder beobachtet mich lange, und er darf das sagen, wenn er es so empfindet. Es gibt gewisse Sachen, die sehen andere vielleicht besser, weil man sie selbst nicht wahrhaben möchte.

Inwiefern?

Campino Das Selbstbild ist ja immer ein anderes. Man ist oft zu milde und manchmal auch zu streng mit sich. Aber ich muss zugeben, jetzt, da ich älter werde, stellt sich mir manchmal die Frage: Was war der Preis für meinen Lebensweg?

Und: Was war der Preis?

Campino Ich habe das Meiste gerne gemacht, da gibt es nichts zu diskutieren. Ich konnte mein Leben alles in allem so leben, wie ich wollte. Ich bin nicht unglücklich in dem Sinne, dass ich glaube, ich hätte etwas extrem versemmelt. Gleichzeitig: Wenn ich meine Geschwister beobachte, die Partner für eine lange Zeit gefunden haben und ihr ganzes Leben intensiv teilen, dann ist das sicherlich auch eine lebenswerte Variante.

Du sehnst Dich nach Familie? Ist das so?

Campino Diese Komponente, konstant mit einem Menschen durch ein ganzes Leben zu gehen, die habe ich über meinen Sohn. Der muss in dieser Richtung ganz schön viel übernehmen. Konstanz teile ich natürlich auch mit meinen Geschwistern. Und ich teile sie mit der Band. Wir haben tatsächlich fast eine Familienstruktur. Sie ist damit nicht gleichzusetzen, aber in vielen Punkten ein Ersatz. Du musst auch in einer Band unheimlich an der Beziehung arbeiten. Und du teilst die Schicksalsschläge: Krankheiten, Todesfälle. So etwas dringt nicht nach außen, prägt aber ein gemeinsames "Durchslebengehen".

Eigentlich wollte die Band ja zwei Jahre Pause machen. Das hat offensichtlich nicht geklappt.

Campino Es ging ganz gut los mit der Ruhe, hat mir aber nicht den erhofften Effekt gebracht. Ich musste nach einem halben Jahr feststellen, dass ich in keinem Bereich weitergekommen bin. Vielleicht ist das auch mal eine Erfahrung, die man machen muss, dass man sich manchmal weder nach vorne noch nach hinten entwickelt. Es fiel mir schwer, diese selbsterklärte Pause so wahrzunehmen, dass ich Erholung spürte. Aber das ist eine mentale Sache.

Pause machen ist offenbar nichts für Dich?

Campino Ich habe sehr wohl die Gelegenheit genutzt, mehr Zeit mit meinem Sohn zu verbringen.

Er müsste jetzt zehn Jahre alt sein, oder?

Campino Ja. Besonders nett war es, als wir auf einem Festival waren und dort gezeltet haben.

Welches Festival war das?

Campino Das Chiemsee-Festival mit Macklemore und Seeed. Das war toll. Beides sind Lieblingsbands von uns, und es war das erste Mal, dass wir so etwas teilen konnten. Das hat extrem Spaß gemacht.

Haben sich die Toten Hosen auch zum Musikmachen getroffen?

Campino Es war verabredet, dass wir uns alle paar Monate sehen zum ergebnisoffenen Proben. Wir haben das jeweils für einige Tage auch getan, um miteinander in Berührung zu bleiben, was unsere musikalischen Einflüsse angeht. Den anderen vorzuspielen, was wir so in der Zwischenzeit gehört haben, im Radio und zuhause.

Also wird es bald eine neue Platte der Toten Hosen geben?

Campino Nein. 2015 auf gar keinen Fall. 2016 vielleicht, aber auch da schieße ich jetzt ins Blaue. Wir stehen in gewisser Weise noch vor dem Anfang. Es gibt bei der Produktion eines Albums einen Punkt, an dem man für sich einen roten Faden finden muss, eine Idee, die man verfolgt. Und da ist weit und breit für uns noch nichts zu sehen. Wir haben für das nächste Jahr ein paar Konzerte angesetzt, aber ich rechne eher damit, dass die generelle Pause bis zum nächsten Album länger sein wird als geplant. Wir haben es nicht geschafft, uns ganz aus der Öffentlichkeit rauszuhalten, aber das müssen wir unbedingt versuchen.

Hast Du eigene Pläne?

Campino Ich habe zwei, drei Angebote, die nichts mit der Band zu tun haben und interessant sind. Ich weiß aber noch nicht, ob ich mich da reinknien werde.

Was ist das genau?

Campino Zum Beispiel geht es um eine Sprecherrolle für ein klassisches Stück. Eine CD-Aufnahme.

Ein Hörbuch?

Campino Ja. Nichts Großes, aber es hat für mich eine Wertigkeit. Das Andere ist eine Anfrage aus der Fernsehwelt. Aber es wäre zu früh, da etwas zu sagen.

(RP)
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