Frank Witzel "Was wir erleben, ist ein Kulturkampf"

Der Schriftsteller liest am Donnerstag in Düsseldorf aus seinem preisgekrönten RAF-Roman.

Düsseldorf 15 Jahre hat Frank Witzel an seinem 900-Seiten-Roman über das Jahr 1969 geschrieben. Der lange Atem hat sich gelohnt: Sein Werk "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" (Matthes Seitz, 29,90 Euro) wurde zum besten deutschen Roman des Jahres gekürt. Am Donnerstag liest der Autor in Düsseldorf.

Ist Ihr Buch ein Epochenroman?

Witzel Ich habe lediglich versucht, mich an meine Kindheit und an Erlebnisse von damals zu erinnern. Die Rückmeldungen der Leser aber sind andere: Das Buch wird tatsächlich als Epochenroman begriffen. Für mich ist interessant, dass es offenbar viele Überschneidungen innerhalb unterschiedlicher Biografien gibt. Es ist eine spannende Epoche, da Ende der 60-er Jahre auch die 50-er Jahre noch spürbar und lebendig waren, zumal in einer provinziellen Vorstadt - ganz im Gegensatz zu den Großstädten, in denen es schon die Studentenbewegung gab. Diese Epoche markiert also den Übergang aus der Nachkriegszeit in die moderne Bundesrepublik.

Dazu kommt die besondere Erlebniswelt des Teenagers, der die Geschichte erzählt.

Witzel Vielleicht können darum auch viele Leser etwas mit dem Buch etwas anfangen. Weil der Roman gleichzeitig den Übergang vom Kind zum Erwachsenen beschreibt; und diese Brüche erlebt schließlich jeder.

Plötzlich rutschen Sie mit dem Buch auch in die Rolle des Zeitzeugen.

Witzel Wirklich jung bin ja auch nicht mehr. Aber es ist schon eine bedenkenswerte Zeit - vor allem für die Jahrgänge 1953 bis '63, die zu jung für die Studentenbewegung und dann schon wieder zu alt für Punk und New Wave waren.

Sie nehmen sich als Autor das Recht, aus der Sicht eines Pubertierenden über Terror lachen zu dürfen.

Witzel Ich habe da keinen Sonderstatus als Autor, diese Haltung steht natürlich jedem offen. Der Humor spielt bei mir eine ganz entscheidende Rolle. Für mich ist der Humor auch immer dazu da, etwas zu überwinden. Meine Figuren gehen manchmal bis an die Schmerzgrenze bei ihren Überlegungen, was man mit seiner Existenz anfangen kann. Der Humor wird dann zur Chance, aus dem Hamsterrad des Denkens einmal herauszuspringen.

Spürt man bei solchen historisch relevanten Themen auch eine Verantwortung als Autor? Gibt es Grenzen?

Witzel Ich versuche natürlich, mir keine Grenzen aufzuerlegen. Aber ich würde nie leichtfertig mit der Historie umgehen wollen, die Menschenleben gekostet hat und mit viel Leid zusammenhängt. Der Prozess, Geschichte zu verstehen, ist für mich niemals abgeschlossen. Es gibt allerdings verschiedene Möglichkeiten, solche Prozesse darzustellen; und eine Möglichkeit ist eben mithilfe von Humor.

Worin unterscheidet sich der RAF-Terror vom Terror jetzt von Paris?

Witzel Mir scheint bei den Terrorakten von Paris eine große Willkür vorzuherrschen. Plötzlich wird die gesamte westliche Kultur in Haftung genommen, und jeder Einzelne ist gefährdet. Für mich ist dahinter keine politische Haltung mehr erkennbar - ohne umgekehrt die Taten der RAF in irgendeiner Weise rechtfertigen zu wollen. Was wir erleben, ist ein Kulturkampf, in dem sich jeder Terrorist als Richter über Leben und Tod der - in seinen Augen - Ungläubigen aufspielt.

(los)
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