Deutsche Kolonialgeschichte Weltpolitischer Wahnsinn

Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin umkreist die Geschichte des "Deutschen Kolonialismus". Es zeigt sich: Diese Episode war zwar nur kurz, aber voll zielloser Gewalt und politischer Illusionen.

Deutsche Kolonialgeschichte: Weltpolitischer Wahnsinn
Foto: Deutsches Historisches Museum

Manchmal offenbart sich im alltäglich Banalen weltpolitischer Wahnsinn: So zeigt die "Deutsche Reichs-Colonial-Uhr", von der Badischen Uhrenfabrik Furtwangen 1905 in hoher Stückzahl hergestellt, nicht nur die Uhrzeit in Deutschland, sondern auch in den verschiedenen deutschen Kolonien. Die bunten Tier- und Pflanzendarstellungen auf dem Rahmen verweisen auf exotisch-romantische Vorstellungen von einem Kolonialreich, das durch den Flottenausbau gesichert werden sollte. Des Kaisers pathetische Worte - "Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser" - sind auf einem Fahnenbanner zu lesen sowie der Kalenderspruch: "Kein Sonnen-Untergang in unserem Reich".

Deutschland, das wird gern vergessen und verdrängt, hat auch eine Geschichte als Kolonialmacht. Sie war nur kurz, aber voll zielloser Gewalt und politischer Illusionen. Erst mit der "Afrika-Konferenz" (1884/85), bei der sich die Großmächte in Berlin trafen, um - in Abwesenheit der beherrschten und ausgebeuteten Kolonial-Völker - ihre Ansprüche und Pläne zu koordinieren und die Welt unter sich aufzuteilen, stieg Deutschland zur Kolonialmacht auf. Nicht lange. Denn bereits nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurden dem untergegangenen Kaiserreich im Versailler Vertrag 1918 alle Kolonien wieder abgesprochen.

Doch das von rassistischem Menschenbild, nationalistischer Ideologie und militärischer Selbstüberschätzung geprägte Kolonial-Abenteuer zeitigte Nachwirkungen, lebte im Rassenwahn der Nazis weiter und spiegelt sich bis heute in einer politisch ambivalenten Haltung zu den Verbrechen der Kolonialzeit wider. Wenn die Bundesrepublik - zu Recht - den Völkermord der Türken an den Armeniern anprangert, sollte sie sich - als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches - auch dazu bekennen, den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts begangen zu haben.

Als sich 1904 im damaligen Deutsch-Südwestafrika (heute: Namibia) die Herero und Nama gegen Willkürherrschaft und Ausbeutung zur Wehr setzten, gab der deutsche General Lothar von Trotha mit seinem Schießbefehl den Auftakt zu einem Vernichtungskrieg, bei dem bis zu 100.000 Herero und Nama ermordet wurden. Eine Entschuldigung oder gar Entschädigung gab es bis heute nicht. Als der grüne Bundesaußenminister Joschka Fischer 2003 nach Namibia reiste, erklärte er, eine "entschädigungsrelevante Entschuldigung" zum Völkermord werde es von ihm nicht geben. Aus dem Munde eines ehemaligen anarchistischen Straßenkämpfers und Dritte-Welt-Aktivisten klingt das besonders pikant. Vorerst geschlossen wurde die politische Akte, als 2012 mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP ein parlamentarischer Antrag auf Anerkennung des Völkermordes abgelehnt wurde.

Im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin wird die Akte jetzt wieder geöffnet. Mit 500 Exponaten will man dort auf 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche Geschichte und Gegenwart des "Deutschen Kolonialismus" in Erinnerung und ins öffentliche Bewusstsein bringen. Ein längst überfälliges Unterfangen. Doch wer sich Antworten auf die großen politischen Fragen erhofft, wer Dokumente sucht, warum die "verspätete Nation" Deutschland sich ohne tragfähiges politisches Konzept in ein ideologisch irrwitziges, militärisch zweifelhaftes und ökonomisch unfruchtbares Kolonial-Abenteuer stürzte, wird kaum neue Erkenntnisse gewinnen.

Die Schau zeigt Postkarten der in Deutsch-Ostafrika stationierten Soldaten an die Lieben daheim; herausgeputzte und ordentlich aufgereihte Frauen aus Kamerun, die mit gequältem Lächeln in die Kamera blinzeln; ein Verzeichnis der Missionsschulen in Togo; deutsche Militär-Uniformen, afrikanische Folklore, Plakate, Alltagsnippes, Ton-Aufnahmen afrikanischer Gefangener auf Schellack-Platten; hier Pfeil und Bogen der wehrlosen Opfer, dort schrecklich effiziente massenmörderische Maschinengewehre; bunt gefleckte Land- und Weltkarten. Ein Sammelsurium an Fundstücken, die alle eine Geschichte erzählen.

Aber welche? Deutschland besaß Kolonien in Afrika, in China, im Pazifik: Doch wie unterschiedlich mögen die jeweiligen Ausbeutungsverhältnisse gewesen sein? Welche Folgen hatte die deutsche Herrschaft in den betroffenen Regionen bis in die Gegenwart? Die Deutschen pflanzten Bäume und beuteten Arbeitskräfte aus, bauten Schulen und versklavten Menschen, waren Herrenrasse und Modernisierer, betrieben Völkermord und zugleich Alphabetisierung. Die Ausstellung wirft viele Fragen auf. Aber vielleicht liegt gerade darin der eigentliche Gewinn: den Flickenteppich aus unzähligen Dokumenten selbst aufzudröseln und neu zusammenzusetzen.

Am Ende liegt das mit Grünspan überzogene Denkmal des Hermann von Wissmann, ein menschenverachtender Generalgouverneur. Ein paar Jahre stand das Denkmal in Daressalam, der Hauptstadt der ehemaligen Kolonie. Später kam es nach Hamburg, stand dort Jahrzehntelang auf einem Platz vor der Uni. In einer Aktion (die dem einstigen Sponti Joschka Fischer gefallen hätte!) wurde es 1968 unter lautem Johlen zu Fall gebracht. In Berlin-Neukölln trägt noch heute eine Straße den Namen Wissmann. Und nur einige Steinwürfe vom Museum entfernt, in dem man sich jetzt so ausführlich mit Geschichte und Gegenwart des deutschen Kolonialismus beschäftigt, liegt die U-Bahnstation Mohrenstraße. Auch das ein Relikt aus einer Zeit, in der sich "Weiße" arrogant über "Schwarze" lustig machten und der "Mohr" zum Maskottchen einer Schokoladenfabrik wurde.

Info Bis 14. Mai 2017, täglich 10-18 Uhr, Tagesticket acht, ermäßigt vier Euro.

(RP)
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