Düsseldorf Wenn die Stimme versagt

Düsseldorf · Die Chart-Stürmerin Adele aus England musste operiert werden, Heiserkeit bedroht Dirk Bach vor seiner Düsseldorfer Musical-Premiere: Wenn Sänger nicht mehr singen können, ist das oft Ausdruck eines Infektes. Manchmal ist Stimmlosigkeit auch Zeichen von Auftrittsangst.

Der Sänger ist, was Handhabung und Transportfähigkeit seines Instruments betrifft, nur scheinbar im Vorteil. Zwar braucht er keinen Cellokasten mit sich zu schleppen, er muss auch kein Rohr schnitzen wie Oboisten, er ist nicht darauf angewiesen, dass er eine gestimmte Kirchenorgel mit funktionierender Elektrik vorfindet, und er muss die Klappen nicht regelmäßig in die Wartung bringen. Aber ein Trompeter kann mit einer Entzündung der Nasennebenhöhlen noch spielen. Der Sänger kann oft nur noch absagen.

Solche Absagen kennt der Opernfreund aus seinem täglichen Leben: Herr X ist erkältet und wird in der abendlichen Vorstellung durch Herrn Y vertreten. Aber derlei Kummer gibt es auch im U-Sektor. Wegen ihrer Stimmprobleme hat die britische Chart-Stürmerin Adele (23) zuletzt zahlreiche Konzerte stornieren müssen. Jetzt habe sich die Sängerin an den Stimmbändern operieren lassen, berichtet das Musik-Magazin "Rolling Stone". "Ich bin untröstlich und besorgt, euch mitteilen zu müssen, dass ich wieder Probleme mit meiner Stimme habe", schrieb die Sängerin neulich auf ihrer Homepage und entschuldigte sich damit für die abgesagte US-Tour. "Ich habe keine andere Wahl, als mich komplett zu erholen, sonst riskiere ich es, meine Stimme für immer zu verlieren", so Adele.

Doch Schonung allein brachte Adele nicht weiter. Sie musste operiert werden. Wie das Krankenhaus mitteilt, musste sich die Künstlerin "einem mikrochirurgischen Eingriff unterziehen. Dabei wurde eine wiederkehrende Blutung an den Stimmbändern gestoppt, die durch einen gutartigen Polypen verursacht wurde."

War das so? Polypen und Zysten sind fraglos arge Plagegeister für Sänger; bei Adele dürfte es sich um geplatzte Stimmlippenvarizen handeln – also um Krampfadern der Singmuskulatur. Professor Wolfgang Angerstein, renommierter Phoniater an der Düsseldorfer Universitätsklinik, erklärt das so: "Diese Varizen sind Produkt einer Abflussstauung des Bluts mit entsprechend verdickten Venen, die das Schleimhautniveau überragen. Sie entstehen durch eine Überspannung oder Verspannung des Stimmlippenmuskels. Wenn diese Varizen platzen (es handelt sich ja um venöse Gefäße mit dünner Gefäßwand), kommt es zu einer flächigen Schleimhautunterblutung der Stimmlippen. Das nennt man Suggilation."

Einen ähnlichen Mechanismus gibt es auch für eine weitere Abflussstörung aus den Stimmlippen. Angerstein: "Durch eine vermehrte Anspannung oder Überspannung des Stimmlippenmuskels wird auch der lymphatische Abfluss aus den Stimmlippen blockiert. Die Stimmlippen quellen glasig auf und verplumpen – wie eine Schlangengurke, die aufquillt, wenn man sie in Wasser legt."

In diesen Bereichen wird sich auch Adeles Leiden bewegt haben. Anders dagegen der aktuelle Fall um Dirk Bach, der in Hape Kerkelings Musical "Kein Pardon" am Samstag in Düsseldorf auftreten soll, aber bei der Pressekonferenz wegen einer Erkältung kaum sprechen, geschweige denn singen konnte. Der Künstler ist allerdings optimistisch, dass er die Premiere retten kann.

In Bachs Fall muss nicht operiert werden, vielmehr ist Schonung angesagt. Erkältungskrankheiten bringen nämlich einen erhöhten Sekretfluss mit sich, gegen den Sänger sich nun gerade nicht durch Räuspern zur Wehr setzen sollten. das reizt das sensible Stimmorgan im Hals zusätzlich. In Wirklichkeit muss das Sekret verflüssigt und der trockene Hals befeuchtet werden, und dafür hilft nur trinken, trinken, trinken – allerdings kein Kamillentee, der ist aggressiver, als man denkt. Auch das weithin propagierte Flüstern ist ein fürs Sprechen sehr anstrengender Vorgang – wer heiser ist, sollte besser gar nicht reden. Das gilt vor allem für Entzündungen des Kehlkopfes.

Tricks und Geheimrezepte zum Umgang mit Stimmstörungen zirkulieren unter Sängern wie Kassiber; sie versprechen mindestens ewiges Leben und ähneln religiösen Formeln. Sänger, die sich häufig räuspern müssen, haben indes zweierlei Grund, sich Gedanken zu machen. Räusperzwang kann nämlich Ausdruck der sogenannten Refluxkrankheit sein – aggressive Magensäfte oder -gase steigen durch die Speiseröhre auf und verursachen eine chemische Läsion des Rachenraums. Ist gar nicht so selten. Vor allem Sänger, die abends nach der Vorstellung im Kreise der Kollegen noch ein paar Gläschen Wein trinken, sind hier gefährdet.

Räusperzwang kann aber auch eine psychosomatische Ursache haben, man verspürt ein Kloß- oder Fremdkörpergefühl, gegen das man meint anräuspern zu müssen. In Wirklichkeit ist der Kloß Ausdruck von Angst vor dem Auftritt; er ist eine Variante des Lampenfiebers.

(RP)
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