Neue Wörter für den Duden Wie die deutsche Sprache wuchert

Düsseldorf (RP). Jahr für Jahr fließen viele neue Wörter in die deutsche Sprache ein. Und mit der Aufnahme in den Duden werden sie nach einer Art "Bewährungszeit" auch offiziell. Dass dies überhaupt registriert wird, ist einem gebürtigen Weseler zu verdanken: Konrad Duden, der vor 100 Jahren starb.

Neue Wörter im Duden
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Der jüngste Duden ist kurioserweise der dünnste: Bloß 80 Seiten umfasst der Band — und doch ist er ein Dokument sprachlicher Überfülle. Denn bei den 800 Wörtern, die die Mannheimer Duden-Redakteure im neuen Werk versammelten, handelt es sich nur um die Neuankömmlinge aus den zurückliegenden zehn Jahren. Also um jene Wörter, die seit 2000 erstmals Eingang fanden in unseren offiziellen Sprachschatz.

Wer das Büchlein "Unsere Wörter des Jahrzehnts" liest und die Sprachschöpfungen als Spiegelbild unseres Zeitgeistes zu deuten sucht, wird den Verdacht nicht los, dass die vergangene Dekade ein genussreiches, mitunter auch lasterhaftes gewesen ist: Seither ist uns der "Absacker" ebenso geläufig wie "Alcopop", "Bedienungstheke", "Champagnerdusche", "Druckraum", "Gammelfleisch", "Hüftgold", "Komasaufen" und "Schaumparty". Dabei ist eine Neuaufnahme nicht so einfach. Für die Duden-Wächter gilt längst nicht jedes Wort als notierenswert, nur weil es neu ist. Der Kandidat muss schon über einen längeren Zeitraum und in diversen Medien immer wieder vorkommen. Und dazu durchforsten Computer riesige Mengen an Texten.

Mittlerweile 135.000 Wörter

Auch solche Hürden verhindern nicht, dass die deutsche Sprache immer weiter wächst. Der "Ur-Duden" von 1880 kam mit 27.000 Stichworten aus; und die Deutschen werden einander auch damit gut verstanden haben. Die 25. und vorerst letzte Auflage des Rechtschreib-Dudens versammelt schon über 135.000 Stichworte. Und das sind nicht einmal alle gebräuchlichen Wörter.

Wie viele es wirklich sind, weiß keiner. Selbst der Chefredakteur der Duden-Redaktion, Werner Scholze-Stubenrecht, kann lediglich schätzen und beängstigenderweise auch nur grob: 300.000 bis 500.000, lautet seine Angabe. Warum das so ist und warum die deutsche Sprache im Europavergleich besonders kräftig zulegt? Es liegt weniger an der Kreativität der Sprachnutzer, dafür umso mehr an einer Eigenart der deutschen Sprache — den so genannten Komposita. Das ist die Möglichkeit, Wörter aus verschiedenen anderen Wörtern zusammenzusetzen und daraus neue und eigenständige zu bilden.

Dass wir überhaupt unsere Wörter zählen und mittlerweile sogar wissen, welches in unseren Texten am häufigsten vorkommt (ganz unspektakulär: der, die und das) und welches das offiziell längste ist (die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vor der linguistisch legendären Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft), kurzum: all das verdanken wir einem Lehrer aus Wesel: Konrad Duden (1829—1911), dessen 100. Todestag am 1. August bedenkenswert wird.

Dieser Konrad Duden litt schon damals unter der babylonischen Sprachverwirrung der Deutschen. Selbst nach der Reichsgründung konnte sich das Volk der Denker und Dichter nicht zu einer einheitlichen Rechtschreibung durchringen. Duden aber war ein Mann der Praxis und als solcher folgte er dem phonetischen Prinzip: Schreibe, wie Du sprichst. Das brachte Klarheit und Sicherheit, trotz unvermeidlicher Ausnahmen. So intervenierte Wilhelm II., ein H ungeachtet der Aussprache zu erhalten: nämlich bei Thron.

Sein Ur-Duden — korrekt hieß er: "Vollständiges Orthografisches Wörterbuch der deutschen Sprache" — war also damals schon ein Kompromisswörterbuch, das nach dem Scheitern der Ersten Orthografischen Konferenz 1876 mühsam aus vielen verschiedenen Orthografien in Deutschland erstellt wurde. Bald schon war der Ur-Duden ein Volksbuch und zum Preis von einer Mark für viele auch erschwinglich. Ans Ziel gelangte der Weseler Philologe aber erst 1902, als Dudens Regeln der deutschen Rechtschreibung für das gesamte deutsche Reich verbindlich wurden; Österreich-Ungarn sowie die Schweiz schlossen sich diesem weisen Votum an.

Große Bücher zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur langsam altern. Das ist — bei allen Kuriositäten, die wir im 130 Jahre alten Werk finden — auch beim ersten Duden der Fall. So wird auf Seite 130 vorgeschrieben, das "Betttuch" mit drei t zu schreiben. Die Gegenwart ließ Dudens Betttuch wieder gültig werden: Seit 2006 schreiben wir dieses Wort so wie damals. Konrad Duden war aber selbst unserer Zeit noch voraus. Denn zur durchgängigen Kleinschreibung, die er ebenfalls eindringlich empfahl, können sich die Sprachhüter bis heute nicht durchringen.

Eine Sprache, die sich wandelt, lebt. Das ist erstens eine Binsenweisheit und zweitens eine Quelle permanenter Verunsicherung. Täglich bis zu 200 Anfragen in der Duden-Redaktion sind ein Beleg für ein kaum zu stillendes Klärungsbedürfnis. Und das dürfte auch angesichts unseres expandierenden Wortschatzes nicht kleiner werden. Sicher, es gibt auch den Weg der Wörter-Eliminierung. Doch den beschreiten die Sprachpfleger nur ungern und darum selten. Zwei Wörter, die es zuletzt traf, waren "beleibzüchtigen" und "Selbstwählferndienst". Seien wir ehrlich, diese Verluste lassen sich verschmerzen.

(RP)
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