Wie Hummel Bommel fliegen lernte

Die Hummel ist traurig, weil sie kleine Flügel hat. Agathe hat eine unbändige Freude am Zählen, und Anton versteht nicht, warum Mama immer in Eile ist. Die neuen Bilderbücher nehmen die Gefühle ihrer kleinen Leser sehr ernst.

Gefühle kann man nicht essen, kaufen und auch nicht im Regal verstauen. Erklären kann man sie dummerweise auch nicht immer. Sie sind einfach da. Um solch große Gefühle geht es in dem Tiergeschichten-Sammelband des Text-Bild-Duos Toon Tellegen und Marc Boutavant. Sie haben die unbeliebteren, die dunklen Gefühle in das Zentrum ihrer poetischen Kurzgeschichten gestellt: um Wut geht es dort, um Ärger, Zorn, Raserei, Schimpferei und auch Wehmut. Da wird der Klippschliefer wütend auf die Sonne, weil sie jeden Abend untergeht, und der Elefant schimpft mit sich selbst, weil er wider besseres Wissen immer wieder auf den Baum klettert und herunterplumpst. So wie es im echten Leben nicht immer eine Lösung gibt, so enden auch die Geschichten offen. Doch kleine Trotzköpfe und auch erwachsene Choleriker werden sich genau deshalb darin wiedererkennen. "Man wird doch mal wütend werden dürfen" ist ein anspruchsvolles Bilderbuch mit dezenten Zeichnungen des französischen Illustrators Marc Boutavant.

Um die Geschichte von Anton vorzulesen, braucht man Zeit: etwa so viel, "wie wenn du alle deine Kuscheltiere eincremen würdest und ihnen anschließend dabei zusehen müsstest, wie sie von deiner Mama in der Waschmaschine gewaschen werden". Also etwas länger. Die Geschichte handelt von einem ohnmächtigen Mammut und einem beerdigten Eichhörnchen. Doch eigentlich handelt sie von dem Geheimnis, warum Kinder immer und Erwachsene (Großeltern ausgenommen) nie Zeit haben. Das ist das Thema von "Anton hat Zeit. Aber weiß nicht, warum!" der Autorin und Zeichnerin Maike Haberstock, die neben Stunden und Minuten gefühlte Maßeinheiten für die Dauer der Kapitel findet. Aus Antons Perspektive brauchen die wichtigen Dinge des Lebens - etwa ein Butterbrot so zu knabbern, dass eine Hasenform entsteht - so lange, wie sie eben brauchen. Die Mutter aber lebt nach der Uhr. Stets macht sie mehrere Dinge gleichzeitig. Konflikte sind da programmiert, die Szenen aus dem Leben gegriffen. Dabei hält die Autorin gestressten Eltern den Spiegel vor: "Manchmal, wenn Mama überhaupt gar keine Zeit hatte, wurden aus zwei Dingen sogar drei oder vier: Telefonieren und Spülmaschine ausräumen und miese Laune haben. Oder Diät machen und Auto fahren und andere Autofahrer anschimpfen und sich verfahren." So witzig in Wort und Bild hat sich selten ein Kinderbuch mit der Zeit beschäftigt.

Um Zahlen geht es auch bei der Giraffe Agathe. Sie zählt alles, was ihr vor die Nase kommt - die Punkte auf dem Marienkäfer, die Streifen des Zebras, die Punkte des Geparden. Leider halten ihre Freunde nicht immer still und können selbst nicht so gut zählen. Aber die heitere Giraffe findet immer eine Lösung, auch als es dunkel wird. "Agathe zählt die Sterne" greift die kindliche Faszination für Zahlen auf und setzt sie mit schönen Illustrationen um. Mit Wasserfarben schafft Catherin Rayner großflächige und im Detail witzige Bilder in sanften Erdfarben und Blautönen. Ein tolles Gute-Nacht-Buch.

In Neles Welt dagegen ist gerade einiges durcheinandergeraten: Ausgerechnet als sie beim Schulfest einen Auftritt hat, kommt ihre kleine Schwester zur Welt. Keiner interessiert sich mehr dafür, dass sie fehlerfrei geflötet hat. "Neles kleine Schwester" erzählt eine unaufdringliche, ruhige Geschichte für Erstleser darüber, wie es ist, große Schwester zu werden. In einer ruhigen, sparsamen Sprache erzählt Autorin Anne Maar von dem Gefühl, plötzlich unsichtbar zu sein, weil sich alles nur ums Neugeborene dreht. Auch die Figuren von Manuela Otten mit ihren Kulleraugen und dem spitzen Kinn konzentrieren die Geschichte ohne Schnickschnack aufs Wesentliche.

"Die kleine Hummel Bommel" hat ebenfalls gerade Sorgen. Nachdem Bommel von Bino Biene und Walpurga Wespe in der Insektenkrabbelgruppe wegen seiner kleinen Flügel gehänselt wird, bezweifelt die Hummel, dass sie jemals wird fliegen können. Sie befragt ihre Freunde - die Libelle, den Marienkäfer, die Raupe, die Fliege, die musikalische Grille und den klugen Doktor Weberknecht, die ihr zu neuen Erkenntnissen über sich und das Mutig-Sein verhelfen. Während der Text leicht pädagogisch bemüht daherkommt, finden kleine Bildergucker die Illustrationen der knubbeligen Hummel und der anderen Insekten von Joëlle Tourlonias einfach süß und witzig. Maite Kelly hat dazu ein eingängiges Mutmach-Lied geschrieben, das es als Download zum Bilderbuch dazugibt.

(RP)
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