Dalai Lama "Wir brauchen mehr Herzensbildung"

Der buddhistische Mönch und Friedensnobelpreisträger bewundert die Europäische Union und rät Donald Trump, mehr nachzudenken.

Düsseldorf Jetzt ist es auch in den USA erschienen: Das Buch, das der Dalai Lama zusammen mit dem Journalisten Franz Alt geschrieben und mit "Ethik ist wichtiger als Religion" betitelt hat. In 17 Sprachen ist es bereits erschienen. Nun hat Franz Alt den Dalai Lama zu den Fragen der Zeit interviewt.

In den USA regiert Präsident Trump nach dem Motto "America first" und "Make America great again". Ist dieses Motto in den Zeiten der Globalisierung noch zeitgemäß?

Dalai Lama Wenn der Präsident ,America first' sagt, macht er seine Wähler glücklich. Das kann ich verstehen. Aber aus globaler Sicht ist diese Aussage nicht relevant. In der globalen Welt hängt heute alles mit allem zusammen. Amerikas Zukunft hängt auch von Europa ab und Europas Zukunft auch von den asiatischen Ländern. Die neue Realität ist, dass alles mit allem verbunden ist. Die USA sind die führende Nation der freien Welt. Deshalb sollte der Präsident mehr nachdenken über das, was für die Welt relevant ist.

Müsste es zeitgemäß nicht eher heißen: "Make the planet great again"?

Dalai Lama Sicher. Die USA sind noch immer sehr mächtig. Das Motto der Vorfahren der heutigen Amerikaner war Demokratie, Frieden und Freiheit. Die totalitären Regime haben keine Zukunft. Die USA sollte sich als Führungsmacht eng mit Europa verbünden. Ich bin ein Bewunderer der Europäischen Union. Sie ist ein großes und vorbildliches Friedensprojekt. Der Präsident der USA braucht eine Vision. Leider hat Donald Trump den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündet. Dafür hat er sicher seine Gründe. Aber ich unterstütze diese Gründe nicht.

Trumps Politik und seine Kriegsrhetorik führen zu einer Spaltung in den USA und in der Welt: einer Spaltung zwischen schwarz und weiß, zwischen Amerikanern und Ausländern, zwischen Arm und Reich. Können die Religionen helfen, diese Spaltung zu überwinden?

Dalai Lama In einem gewissen Grad. Aber grundsätzlich sollten religiöse und nichtreligiöse Menschen heute zusammenarbeiten. Die Religion allein schafft es nicht, diese Spaltungen zu überwinden. Mein favorisiertes Konzept ist die Herzensbildung und die Herzenserziehung. Bei der Klimaerhitzung oder bei der globalen Wirtschaft gibt es keine nationalen Grenzen. Auch keine religiösen Grenzen. Jetzt ist die Zeit gekommen, zu verstehen, dass wir eine Menschheit auf einem Planeten sind. Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen miteinander leben. Wenn wir voller Hass, Angst und Zweifel sind, bleibt die Tür zu unserem Herzen verschlossen, und jeder kommt uns verdächtig vor. Das Traurige ist, dass wir dann den Eindruck bekommen, andere wären genauso misstrauisch uns gegenüber. So wird die Distanz zwischen uns selbst und den Anderen immer größer. Dies Spirale fördert Einsamkeit und Frustration.

In Europa spielt der Neo-Nationalismus eine immer größere Rolle.

Warum nimmt die Bedeutung der Religion in westlichen Ländern ab?

Dalai Lama Neo-Nationalismus ist ein ernstes Problem in vielen Nationen. Es ist zunächst einmal logisch, dass die vielen Nationen sich um ihre eigenen Belange kümmern. Die Europäische Union ist ein gutes Beispiel für gelungene internationale Zusammenarbeit. Nach Jahrhunderten der Kriege und des gegenseitigen Abschlachtens hat in den letzten 60 Jahren kein einziges Land der Europäischen Union gegen ein anderes Krieg geführt. Die Geschichte lehrt uns: Wenn Menschen nur ihre nationalen Interessen verfolgen, gibt es Streit und Krieg. Das ist kurzsichtig und engstirnig. Das ist überholt. Die Zukunft einzelner Nationen hängt immer auch von den Nachbarn ab - davon, dass es auch ihnen gut geht. Die USA hängen von Europa ab, Europa von Asien und Afrika und umgekehrt. Das ist heute anders als in der Vergangenheit. Die einzelnen Nationen müssen sich auch um ihre Nachbarn kümmern. Das ist die neue Realität unserer Zeit.

Sie verkünden ein Anti-Trump-Programm. Was können die reichen Länder tun, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen?

Dalai Lama: Die Politik muss Mitgefühl für Menschen in Not zeigen. Migranten dürfen nicht diskriminiert werden. Ein paar Tausend Flüchtlinge jedes Jahr sind kein Problem für die reichen Länder. Deutschland hat in den letzten zwei Jahren über eine Million Flüchtlinge aufgenommen, was ich sehr begrüße. Aber eine Million geht nicht jedes Jahr. Die reichen Länder haben die moralische Pflicht, Flüchtlingen zu helfen, ihnen Unterkunft, Nahrung und Bildung anzubieten. Aber auf lange Sicht sollten die Flüchtlinge wieder zurückkehren und ihre Heimat aufbauen. Die junge Flüchtlingsgeneration kann in den Industrieländern Berufe und neue Technologien lernen. So können die USA oder Deutschland ganz konkrete Entwicklungshilfe leisten. Nehmen Sie die 100.000 tibetischen Flüchtlinge, die mit mir nach Indien geflohen sind. Die Mehrheit von ihnen will nicht dauerhaft außerhalb Tibets leben. Niemand verlässt freiwillig für immer seine Heimat.

Sie fordern die Bildung des Herzens. Was meinen Sie damit konkret?

Dalai Lama In ein paar Worten: Liebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Vergebung, Achtsamkeit, Toleranz und Frieden. Diese Erziehung ist bedeutsam vom Kindergarten bis zur Universität. Unsere heutige Bildung dagegen ist hauptsächlich an materiellen Werten und an Verstandesbildung orientiert. Aber die Realität zeigt, dass wir mit dem Verstand allein nicht zur Vernunft kommen. Wir sollten größeren Wert auf innere Bildung und auf moralische Werte legen. Jetzt ist eine globale säkulare Ethik wichtiger als die klassischen Religionen. Wir benötigen eine globale Ethik, die sowohl gläubige wie nichtgläubige Menschen, also auch Atheisten, akzeptieren können. Man sieht das in Burma, wo die buddhistische Mehrheit Gewalt gegen Muslime verübt. Dahinter steckt ein Mangel an inneren Werten. Deshalb haben die Religionen an Überzeugungskraft verloren. Intoleranz ist immer der falsche Weg.

Was ist der Sinn unseres Lebens?

Dalai Lama Der eigentliche Sinn unseres Lebens, den wir alle verfolgen, ob mit oder ohne Religion, ist es, glücklich zu sein.

(RP)
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