Marc Grandmontagne "Wir erleben eine Art Kulturkampf"

Der neue Chef des Deutschen Bühnenvereins hält Kulturentwicklungspläne für hilfreich.

Düsseldorf Marc Grandmontagne, 1976 in Dillingen an der Saar geboren, ist Jurist, gehörte zum Leitungsbüro der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 in Essen, war zuletzt Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft in Bonn und ist seit Jahresbeginn Direktor des Deutschen Bühnenvereins. In dem Verband sind öffentliche und private Theater und Orchester und ihre Träger organisiert.

Viele Kommunen können sich inzwischen ihren Kulturauftrag schlicht nicht mehr leisten. Was tun?

Grandmontagne Die Marginalisierung der Kulturpolitik hat auch mit Geld zu tun, ja. Es ist eine politische Entscheidung, wofür man Geld ausgibt. Es fehlt aber auch an Konzepten und Visionen für eine zeitgemäße Kulturpolitik. In Düsseldorf ist ja gerade ein Kulturentwicklungsplan unter Bürgerbeteiligung erarbeitet worden. Geld ist wichtig, aber es geht auch um die Frage, was man in einer Stadt eigentlich will. Und da fehlt es manchmal an der politischen Vorarbeit.

Kulturentwicklungspläne sind aber zahnlose Tiger, wenn wie in Düsseldorf ein Oberbürgermeister eine Debatte ums Stadttheater entfacht, ehe der Entwicklungsplan überhaupt abgeschlossen ist.

Grandmontagne Ich denke, das Problem liegt woanders. Kultur als Politikfeld wird nicht ernst genug genommen. Ich halte Kulturentwicklungspläne für ein wichtiges Instrument. Kultur ist zwar keine Pflichtaufgabe der Kommunen, sondern eine sogenannte "freiwillige Leistung". Freiwillig bedeutet aber nicht, dass man Kultur einfach abschaffen kann oder dass sie nicht so wichtig ist, sondern nur, dass nicht fix ist, was und wie gefördert wird. Das muss für jede Zeit neu ausgehandelt werden, und dabei sollten alle interessierten Bürger einbezogen werden. Kultur ist etwas extrem Dynamisches. Die Zivilgesellschaft ist gefragt, frei über ihre Kultur zu entscheiden.

Denken Sie, dass etwa die Entwicklung in den USA Verantwortliche aufrütteln wird, den Kulturauftrag ernster zu nehmen?

Grandmontagne Ja, das erleben wir schon. Der Aufstieg von Donald Trump als Fürsprecher des kleinen Mannes ist ja irre, wenn man bedenkt, an wie vielen Unternehmen er beteiligt ist. Es geht also nicht um das Aufbegehren gegen eine ökonomische Elite, sondern um kulturelle Auseinandersetzungen. Auch wir erleben hierzulande den tiefen Graben zwischen der für uns lange selbstverständlichen libertären Kultur, in der diverse Lebensentwürfe miteinander konkurrieren dürfen, und dem Erstarken eines kollektiven Bewusstseins mit klarem Innen-außen-Dualismus, also einer Kultur, in der festliegen soll, wer dazugehört und wer nicht. In Sachsen-Anhalt etwa forderte die AfD, dass die dortigen Bühnen klassische deutsche Stücke spielen und zur Identifikation mit dem Heimatland beitragen sollen. Das ist auch eine Art Kulturkampf. Die Kunst muss gerade da ansetzen und solche Prozesse zu Bewusstsein und zur Sprache bringen.

Es gibt in vielen Städten keinen Konsens mehr darüber, dass etablierte Strukturen wie die Stadttheater erhalten werden sollten.

Grandmontagne Es gibt schon ein intuitives Gefühl dafür, dass ein Theater im Stadtkern die Atmosphäre verändert und zur Identität der Stadt gehört. Wenn ein Haus geschlossen werden soll, kämpfen dagegen meist auch jene Bürger, die nie ins Theater gehen. Aber es stimmt, es mehren sich Diskussionen über den Erhalt ererbter Strukturen. Das ist aber auch gut so. Es trägt dazu bei, dass sich die Bürger darüber bewusst werden, welche Kultur sie in ihrer Stadt wollen, wie viel Bewahrung und wie viel Öffnung erwünscht ist. Allerdings sind viele Kommunen finanziell viel zu schlecht ausgestattet, sie haben gar keine Spielräume mehr. Das ist ein grundsätzliches Problem. Gerade die Länder müssten viel mehr in Kultur investieren, Kultur ist schließlich Ländersache.

Krisenzeiten sind gute Zeiten für das Theater - stimmen Sie dem zu?

Grandmontagne In Krisenzeiten ist der Grund reicher, aus dem Theater schöpft. Im Moment geschieht so viel, das an den Grundfesten unseres Miteinanders rüttelt - das erschüttert viele Menschen. Und natürlich empfinden sie Kunst als relevant, die ihre Fragen aufgreift.

(dok)
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