Interview: F. C. Delius "Wir hatten es mit Konflikten damals leichter"

Düsseldorf · Der Schriftsteller hat seine Autobiografie vorgelegt: "Die Zukunft der Schönheit".

Auch so können Lebenserinnerungen beginnen: in einem Jazz-Club in New York 1966. Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius erinnert sich an die Wut, den Aufbruchsgeist und die Zweifel dieser Jahre jetzt in seiner kleinen, rauschhaften Autobiografie "Die Zukunft der Schönheit" (Rowohlt, 93 Seiten, 16 Euro).

Wie kamen die Erinnerungen an jene Nacht des 1. Mai 1966 wieder in Ihren Sinn? Befördert auch durch die Jazz-Musik?

Delius Als ich im Jahr 2000 an einer Universität in den USA arbeitete, lud mich ein Professor nach Princeton ein. Dort kam mir die Idee, über die berühmte Tagung der Gruppe 47 von 1966 zu schreiben, an der ich als junger Schriftsteller teilgenommen hatte - als völlig unauffällige Randfigur. Das Schluss-Kapitel sollte dieser Jazz-Abend in New York sein. Das Projekt scheiterte, weil sich die Entwicklung eines jungen Mannes aus der Pubertät hin zum Schreibenden nicht verbinden ließ mit einem heiter-ironischen Tagungsbericht. Aber dieses Jazz-Erlebnis blieb immer im Kopf und wollte beschrieben werden. Erst als mir der Kollege und Freund Marcel Beyer CD-Mitschnitte des Konzerts von damals schenkte, konnte es losgehen. Es brauchte mit Unterbrechungen immer noch acht Jahre, bis dieses Buch fertig war, befördert natürlich durch die Free-Jazz-Musik, aber ebenso durch die schwierige Vaterbeziehung.

Kam erst später auch die Vater-Sohn-Geschichte dazu; oder hatten Sie diesen Konflikt von Beginn an im Blick?

Delius Ja. Da der Vater-Sohn-Konflikt durch einen Jazz-Trompeter ausgelöst wurde, etwa sechs Jahre zuvor, war diese Geschichte immer im Hintergrund.

War damals der Jazz und die Literatur für Sie eine Form der Emanzipation von der Vätergeneration?

Delius Nicht nur der Jazz, auch der Rock 'n' Roll, die Beatles, die Stones, die neuen Filme, das absurde Theater, die Literatur sowieso, ja, alles half bei der Ablösung von der Vätergeneration.

Ist Ihre Auseinandersetzung mit dem Vater stellvertretend für viele Auseinandersetzungen dieser Zeit und Ihrer Generation?

Delius Ich bin vorsichtig mit solchen Verallgemeinerungen. Aber ich bekomme jetzt schon Leserpost mit ähnlichen Erlebnissen, sehr viel auch von einst mehr oder weniger rebellischen Jazz-Fans.

Und gehörte dazu am Ende auch Ihre Emanzipation vom sogenannten Literaturbetrieb, namentlich der Gruppe 47 und ihren damals bereits erkennbaren Erosionen?

Delius Vom Literaturbetrieb muss man sich nicht emanzipieren, das geht gar nicht. Da steckt man halt drin (auch die, die sich fernhalten), man darf ihn nur nicht zu ernstnehmen. Und die Gruppe 47 war eine der besten Erfindungen der Nachkriegszeit, in vielem noch heute ein Vorbild. Aber sie bestand aus lauter Einzelgängern, und das ist das Schwerste als freier Künstler: ein Einzelgänger zu bleiben und trotzdem weltzugewandt und neugierig zu sein, offen für die Leute - und für vorübergehende Gruppen.

Würden Sie sagen, dass es solche Generationen-Konflikte zumindest in dieser auch politischen Form heute nicht mehr gibt? Und ist das ein Verlust?

Delius Wir hatten es damals leichter mit unsern Konflikten. Heute sind viele Fronten, Grenzen, Interessen verwischt, eine Fülle von Meinungen rauschen an einem vorbei. Heute hat man die halbe Welt im Blick, das ist eine riesige Überforderung, das macht die Leute so hysterisch oder hibbelig, und es ist viel schwieriger, eine eigene Position ohne ideologische oder sonstige Scheuklappen zu finden.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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