Duisburg Zechensterben auf der Bühne

Duisburg · Mit dem Bergarbeiter-Drama "Hunger" endet die Ruhrtriennale-Trilogie.

Für "Hunger" - den Abschluss seines Mammut-Projekts "Trilogie meiner Familie" - hat Regisseur Luk Perceval zwei Romane von Émile Zola zusammengeschnitten: "Germinal" und "Bestie Mensch" stammen wie aus Zolas Lebenswerk, dem Romanzyklus "Les Rougon-Macquart". Sie erzählen von den Söhnen der Wäscherin Gervaise, deren Geschichte sich der Regisseur im ersten Teil "Liebe" gewidmet hat. Dass auf der Bühne der Ruhrtriennale in der halb offenen Gießhalle des Duisburger Landschaftsparks Nord also zwei Brüder im Zentrum des Geschehens stehen, ist schon sein stärkster Zusammenhalt. Eigentlich sind sie Protagonisten unterschiedlicher Geschichten, die nicht immer so recht zusammenpassen wollen.

Ètienne ist Bergarbeiter und sein Bruder Jacques Lokführer. Étienne erfährt die unmenschlichen Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts am eigenen Leib, wird Sozialist und stachelt einen Aufstand an. Jacques hat mit seinem Trieb zu kämpfen, eine Frau zu töten; er wird Zeuge eines Mordes und verstrickt sich in eine Affäre mit der Frau seines Stationsvorstehers.

Auf Annette Kurz' Bühne aus Holzbohlen, die wie eine Sprungschanze direkt ins Publikum wirkt, richtet Luk Perceval immer wieder wirkungsvolle Tableaus an, die wie lebendige Gemälde oder psychologische Familienaufstellungen anmuten: Um ein beiläufig kopulierendes Paar gruppieren sich Arbeiter, die über revolutionären Terror sinnieren als wären sie Vorläufer der Roten Armee Fraktion: "Die Erde braucht Blut". Ihre kollektive Mordlust korrespondiert mit dem möglicherweise vererbten oder durch unglückliche Sozialisation entfesselten Trieb des Jacques'. So wie hier tut Luk Perceval mit seinem wunderbaren Ensemble auch sonst alles, um beide Geschichten zu verbinden. Doch sie wollen sich nicht fügen, laufen bis zum Ende parallel.

Der Regisseur übersetzt Zolas Naturalismus in großes, emotionales Schauspielertheater. Und auch, wenn sich im Ensemble ab und an ein Live-Saxophon-Spieler hervortut, passte diese Inszenierung wie ihre Vorgänger perfekt ins Programm eines größeren Stadttheaters, lässt den Pfiff vermissen, der ihr Festival-Qualität verliehe.

Wenn inmitten der Gießhalle, die bis in die 1980er-Jahre als Abstichhalle eines Hochofens genutzt wurde, allerdings die dramatische Szene eines Bergwerksunfalls geschildert wird, weist das Spiel allein durch den Aufführungsort über sich hinaus. Nächstes Jahr wird in Bottrop die letzte Zeche geschlossen, im Ruhrgebiet geht das Bergbauzeitalter zu Ende - und nicht wenige Zuschauer werden denken: Vielleicht ist das gut so.

(RP)
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