Kurioses Am Tresen der Auto-Tester

Für Touristen ist sie nur eine ranzige Kaschemme am Rande der Wüste. Doch für Autotester ist der Sourdough Saloon in Beatty so etwas wie der Nabel der Welt. Dort treffen sich Hunderte von Ingenieuren zum Feierabendbier – und lassen manch' skurriles Souvenir da.

Das Thermometer zeigt schon morgens über 40 Grad, über dem Asphalt flirrt die Luft und wo man hinschaut nur Sand und Steine. Willkommen im Death Valley, dem unwirtlichsten Fleck in ganz Amerika. Touristen huschen allenfalls schnell in klimatisierten Leihwagen durch dieses Wüstental an der Grenze zwischen Nevada und Kalifornien. Doch für Männer wie Moritz Freudenberger und Jürgen Gehrig ist das Tal des Todes der Sommersitz. Die Audi-Ingenieure sind Automobilentwickler und kommen seit Jahren ins Death Valley, um die Standfestigkeit von Motorkühlung und Klimaanlagen zu testen.

"Was unter diesen Bedingungen hält, geht auch sonst nirgends kaputt", lautet der Tenor der Tester. Und die beiden sind nicht alleine. Denn egal, ob Audi oder Mercedes, Ford oder Toyota, Kia oder Land Rover – um den Hitzetest im Death Valley kommt keiner herum. Entsprechend lebendig geht es in den Sommerwochen im Tal des Todes zu.

Und weil Sonne, Staub und Hitze ganz schön durstig machen, hat auch Ruth gut zu tun. Die resolute Dame ist die Chefin im Sourdough-Saloon von Beatty, der einzigen Stadt am Rande des Death Valley. Wobei Stadt ziemlich übertrieben ist für ein Nest von 1000 Seelen, in dem es nicht viel mehr gibt als eine Tankstelle, einen Knast, ein Hotel, einen Supermarkt – und eben die kleine Bretterbude an der Kreuzung. Weil das die einzige Kneipe in der Stadt und im Umkreis von mehreren hundert Kilometern ist und weil sich fast alle Pkw-Hersteller während ihrer Testwochen in und um Beatty einmieten, wird dieser Saloon im Juli und August zum Nabel der Autowelt. Dort trinken Deutsche und Japaner, Amerikaner und Koreaner, Engländer und Franzosen gemeinsam ihr Feierabendbier. "Das ist wie eine große Familie", sagt BMW-Tester Norbert Klauer, der seit bald 20 Jahren ins Death Valley kommt. "Ganz egal, wie müde oder kaputt du nach der Anreise bist, am ersten Abend in Beatty geht man schnurstracks in den Sourdough-Saloon und checkt erst mal, wer sonst gerade in der Stadt ist."

Für Neuankömmlinge hat der Saloon so manche Überraschung parat: "Ich war vor drei Jahren zum ersten Mal da", sagt Audi-Ingenieur Freudenberger, "und konnte kaum glauben, in was für einen Laden ich da reingeplatzt bin". Nicht nur das Ambiente sei etwas schräg, vor allem die Gäste haben ihn anfangs ein wenig irritiert: "Die Bedienung ist skurril, die Cowboys haben noch das Gewehr im Halfter, und an der Theke lungern einsame Trucker-Frauen herum. Da muss man rechtzeitig gehen, bevor man zum Tanzen aufgefordert wird", habe er mittlerweile gelernt.

Über die Jahre sind bei den Testern in Beatty tiefe Freundschaften gewachsen, der Konkurrenzkampf ist schnell vergessen. "Mit manchen Firmen stimmen wir sogar unsere Terminpläne ab", sagt Klauer von BMW. Autos werden plötzlich zur Nebensache, man lässt den Kollegen ihre Geheimnisse, keiner schnüffelt hinter den Prototypen der anderen her. Stattdessen ist in Beatty ein ganz anderer Wettbewerb entbrannt. Die Tester eifern um das skurrilste Souvenir im Sourdough-Saloon. Denn irgendwann waren es die Ingenieure leid, wie in so vielen Western-Kneipen einfach nur Dollarscheine mit ihren Autogrammen an die Bretterwand zu tackern. Stattdessen haben sie Radkappen und andere Ersatzteile dagelassen. So wie in den Hardrock-Cafés rund um den Globus Gitarren oder Bühnenkleidung von Rockstars und Pop-Sternchen hängen, findet man deshalb rund um den Tresen der Tester allerlei Fahrzeugteile, aus denen man mittlerweile wahrscheinlich ein komplettes Auto nachbauen könnte.

So ist Ruth über die Jahre zur Chefin einer stattlichen Devotionalien-Sammlung geworden, die ziemlich wilde Blüten treibt. Man sieht ganze Motorabdeckungen, komplette Räder, den Kühlergrill eines Bentley oder die Spoiler von irgendwelchen Sport-Modellen. Die Jungs von Mercedes haben irgendwann sogar mal die komplette Frontmaske eines SLK an die Decke gehängt. "Und wir hatten nichts Besseres zu tun, als die Scheinwerferreinigungsanlage wieder in Betrieb zu nehmen und eine Fernbedienung hinter die Theke zu legen", erinnert sich BMW-Ingenieur Klauer. "Das war ein feuchtes Hallo, als die Stuttgarter Kollegen zurückkamen."

Solche Basteleien sind mittlerweile gang und gäbe bei den Testern: "Das Freizeitangebot in Beatty ist eher beschränkt und der Feierabend kann schon mal etwas länger werden. Da hat man Zeit und irgendwann kommt man auf die schrägsten Ideen", sagt Braun. Nicht umsonst surrt jetzt an der Wand neben dem Kamin ein Weiß-Blauer-Lüfter auf dem Drehteller einer ausrangierten Mikrowelle. Und neben der Tür flackert ein Mini-Lenkrad bunt wie eine Lichtorgel in der Disco.

Anfangs haben die Tester dafür heimlich ihre Prototypen gefleddert und Teile abmontiert, die sie eigentlich noch benötigt hätten, erzählt Jeff Grauer, der bei Ford in Detroit die Sportmodelle der SVT-Division testet, und erklärt damit, wie der aus Karbon gebackene Frontspoiler eines Mustangs an die Wand des Saloons kam. "Doch mittlerweile machen wir uns den gesamten Winter über Gedanken, was wir im Sommer mit nach Beatty nehmen könnten", verrät BMW-Tester Klauer.

Auch Audi-Mann Freudenberger sitzt derweil in Ingolstadt schon wieder auf gepackten Koffern und hat sein Flugticket in der Tasche: "Bald geht es wieder los", sagt der Ingenieur aus Neckarsulm. Mit welchem Prototypen er dort herumfahren wird, darf er natürlich nicht verraten. Aber das ist nicht das einzige Geheimnis, das ihn auf seiner Reise begleitet. "Wir haben uns natürlich auch wieder ein besonders Souvenir für den Saloon ausgedacht."

(sp-x)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort