Das Ende der Probefahrt

ESP, ASR, Regensensoren: Der Ausstattungsumfang moderner Gebrauchtwagen ist oft kaum noch überprüfbar. Die Probefahrt wird so mitunter zur Farce.

Funktionieren Bremsen und Kupplung? Schaltet der Wagen weich und läuft der Motor rund? Die Probefahrt war früher eine knappe Begutachtung. Man checkte einen Gebrauchtwagen auf die wichtigsten technischen Funktionen. Nach einer kurzen Fahrt um den Block war das Wunschfahrzeug auf Herz und Nieren geprüft, wie es bei Auto-Ratgebern gerne heißt. Die Extras am Wagen beschränkten sich auf Schiebedach, Klimaanlage oder elektrische Fensterheber.

Heute ist der Ausstattungsumfang selbst in der Klein- und Kompaktwagenklasse so groß, dass Gebrauchtwagenkäufer Autos eigentlich nicht mehr komplett überprüfen können. Hat ein Modell adaptives Fahrwerk, variables Licht, interaktive Kommunikationsbausteine, ESP, Traktionskontrolle, ASR, automatische Stoßdämpfer-Verstellung, Klimaautomatik, Coming-Home-Licht, Regensensoren, Sitzmemory - und wenn ja, in welcher Kombination mit welchen Motoren, welchem Getriebe und welchen Achsübersetzungen? Und wie kann man bei der Probefahrt deren Funktionstüchtigkeit überprüfen? Hilfsmittel wie ESP springen ja in der Regel erst auf glattem Untergrund oder im fahrerischen Grenzbereich ein.

Der Automobilclub von Deutschland (AvD) ist alarmiert. "Gebrauchtwagenkäufer können Autos nicht mehr überprüfen", warnt der Club. Er fordert von der Autoindustrie für jedes Fahrzeug eine verbindliche "Datenkarte", mit der der komplette Ausstattungsumfang identifiziert werden kann. Stichproben des AvD hatten ergeben, dass Gebrauchtwagenkunden oft weder den Ausstattungsumfang ihres Wagens kennen noch wissen, ob die versprochenen Komponenten überhaupt funktionieren.

Beispiel Opel: Beim aktuellen Astra sind insgesamt 136 verschiedene Ausführungen bestellbar. "Hinzu kommen jede Menge Ausstattungspakete und verschiedene Farb-, Polster-, Fahrwerks- und andere Kombinationen", erläutert ein Unternehmenssprecher. Beim Insignia seien es zurzeit sogar 188 Variationen, die sich aus den Motor-, Getriebe-, und Antriebsvarianten sowie den Karosserieformen berechnen ließen. Hinzu kommen rund 100 verschiedene Farb-, Fahrwerks- und Ausstattungsvarianten.

BMW bietet für die aktuelle 3er Limousine etwa 90 Sonderausstattungen an, beim 5er sind es 108. Zum Vergleich: Mitte der 1990er Jahre waren es bei beiden Baureihen bis zu 75 mögliche Variationen. "Die Erhöhung der Optionen sind unter anderem der Vielzahl an neuen Komfort-, Sicherheits- und Fahrerassistenzfunktionen geschuldet", heißt es zu dem Thema bei BMW.

Mercedes-Benz kann für C- und E-Klasse nicht einmal eine genaue Zahl der Ausstattungsvarian-ten nennen. Würde man alle Kombinationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Lacke, Polster, Zierteile, Räder und einzelnen Sonderausstattungen hochrechnen, so gäbe das "eine sehr hohe Zahl" an individuellen Ausstattungsmöglichkeiten, sagt ein Sprecher der Daimler AG. Durch das Angebot von vielfältigen Assistenzsystemen, die das Fahren erleichterten und vor allem sicherer machten, "erhöhen sich natürlich diese Kombinationsmöglichkeiten noch mehr", ergänzt der Sprecher.

Bei den meisten Auto-Ratgebern liest der Laie von ESP und ASR testen oder Sitzmemory und Regensensoren überprüfen allerdings nichts. Die Checkliste von "Autobild" für die Probefahrt etwa beschränkt sich auf Klassiker wie Lack auf Blasen begutachten oder Auspuffanlage auf Rost und Dichtigkeit testen. "Um Motor- und Getriebegeräusche besser hören zu können, sollten Sie zunächst langsam und mit offenem Fenster fahren", rät ein anderes Portal. Denn: "Gut gecheckt ist halb gewonnen", heißt es dort

Der ADAC empfiehlt in seiner Checkliste Probefahrt immerhin, dass man sich beim Kfz-Händler die Funktionen des Fahrzeugs erläutern lässt. Doch kennen die Händler überhaupt noch den vollen Ausstattungsumfang ihrer Fahrzeuge?

Man rede doch nicht über Oldtimer, sondern über aktuelle Fahrzeuge, die bei den zertifizierten Händlern "wohlbekannt" seien, heißt es bei Opel. "Diese Haltung verkennt das Problem", meint Johannes Hübner vom AvD. Schon der Zweitbesitzer eines Insignia könne ohne die Originalrechnung nicht sagen, ob sein Auto adaptives Licht, Klimaautomatik, adatives Fahrwerk, variable Lenkung und vieles mehr habe. Die Frage sei, unter welchen Voraussetzungen Vertragsbetriebe bei Vorlage der Fahrgestellnummer (VIN) die vollständige Ausstattungsliste eines Wagens ausdrucken. "Unsere Erfahrung ist, dass die meisten Händler sagen, sie könnten - oder wollen - diese Daten nicht besorgen", kritisiert Hübner.

Auch beim Premiumhersteller Mercedes-Benz äußert man sich zu der AvD-Forderung nach einer verbindlichen Auto-Datenkarte eher zurückhaltend: Ausstattungsextras würden schließlich in den Auftragsbestätigungen und den Rechnungen genau aufgeführt und ausführlich in der Bedienungsanleitung beschrieben. "So wie sich jeder mit einem neuen technischen Produkt vertraut machen sollte, erwartet man auch von einem Gebrauchtwagenkäufer, dass er sich mit den Funktionen und technischen Möglichkeiten vertraut macht." Beim nächsten Gebrauchtwagenkauf sollten Interessenten also eine Menge Zeit für die Probefahrt mitbringen.

(RP)
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