Recycling Ein Mercedes aus alten Plastikflaschen

Viele Hersteller setzen beim Autobau auf recycelte Produkte. Doch der Einsatz wiederverwerteter Ware hat auch Grenzen.

 Fast alle schwarzen Kunststoffteile der Außenhaut der Mercedes S-Klasse sind aus recycelten Stoffen. Fast 50 Kilogramm macht das Gewicht der wiederverwerteten Kunststoffe aus.

Fast alle schwarzen Kunststoffteile der Außenhaut der Mercedes S-Klasse sind aus recycelten Stoffen. Fast 50 Kilogramm macht das Gewicht der wiederverwerteten Kunststoffe aus.

Foto: Daimler

"Ich war eine Dose" - so lautete der Slogan einer Plakatkampagne in den 80er Jahren. Auf den Plakaten war ein Nagel abgebildet, der zeigen sollte, dass eine alte Getränkedose ein zweites Leben haben kann. Heute gehört Recycling selbstverständlich zum Wirtschaftskreislauf, auch in der Autoindustrie. Zunehmend werden sogenannte Rezyklate, wiederverwertete Materialien, von den Herstellern eingesetzt.

Ein Beispiel ist Daimler: Bei der Außenhaut sieht der Hersteller fast kein Einsparpotenzial mehr. Hier haben inzwischen fast alle schwarzen Kunststoffteile ein Vorleben - an einem Mercedes. Die Radläufe beispielsweise bestehen überwiegend aus ehemaligen Stoßfängern. "Die werden als Altteile aus den Werkstätten eingesammelt und zu Mahlgut verarbeitet", erklärt Anita Engler, bei Daimler verantwortlich für umweltgerechte Produktentwicklung. Zum Teil kommen noch Plastikschnipsel von Flaschendeckeln oder Gehäuse von Starterbatterien hinzu.

Beim Elektroauto BMW i3 etwa bestehen rund 25 Prozent der thermoplastischen Kunststoffe aus Rezyklaten, erläutert Steffen Aumann, Leiter Recycling bei der BMW Group. Auch Teile der Sitzbezüge des i3 werden aus alten Plastikflaschen hergestellt. Der Hersteller Opel spricht beim Kleinwagen Adam von 170 Komponenten, die aus Kunststoffen mit Vorgeschichte gefertigt wurden. Und Daimler gibt das Gewicht der Bauteile aus wiederverwerteten Kunststoffen in der aktuellen Mercedes S-Klasse mit 49,7 Kilogramm an. Das seien 134 Prozent mehr als in der Vorgängergeneration, erläutert Anita Engler.

Recycelte Stoffe beim Autobau einzusetzen, hat für viele Hersteller einen Vorteil. So lässt sich zum Beispiel der Energieverbrauch bei der Fertigung senken. Opel beziffert die Einsparung an CO2 auf 30 Prozent, weil Kunststoff-Granulat mit niedrigeren Temperaturen und weniger Druck erzeugt werden kann. Laut EU-Verordnung müssen seit 2015 95 statt bislang 85 Prozent des Gewichts eines Autos recycelt werden können. Damit das funktioniert, muss schon bei der Produktion ein Recycling-Konzept erstellt werden.

Das heißt aber nicht, dass die Hersteller sich immer aus dem recycelten Baukasten alter Autos bedienen können. "Ein Mercedes hat eine durchschnittliche Lebensdauer von etwa 18 Jahren", erklärt Engler. Wenn man die Entwicklungszeit dazurechne, vergehen zwischen der Auswahl des Materials im Auto bis zu seiner Wiederverwertung 20 bis 25 Jahre. In dieser Zeit kann es Technologie-Sprünge geben.

Da gestaltet sich das klassische Recycling-Beispiel der Altmetalle deutlich unkomplizierter. So gehen 100 Prozent des Karosserie-Stahls ins Recycling. Hier steckt auch in Neufahrzeugen der mit weitem Abstand größte Teil an Rezyklaten. Weil die aber schon bei der Produktion neuer Stähle beigemischt werden, müssen die Autohersteller sich nicht mehr darum kümmern. Anders ist es bei Kunststoffen, wie Engler erklärt: "Im Gegensatz zu Stahl- und Eisenwerkstoffen muss bei den Kunststoffanwendungen eine separate Erprobung und Freigabe für das jeweilige Bauteil durchgeführt werden."

Wiederverwertbare Stoffe können unter Umständen sogar neuer Ware überlegen sein, wie man bei Opel festgestellt hat. Dort schätzt man unter anderem, dass sie weniger zu Maß- und Formveränderungen neigen. So werden beim Adam Scheinwerfergehäuse, Stoßfängerbefestigungen oder der Wasserabweiser zwischen Motorraum und Spritzwand aus recycelten Kunststoffen hergestellt. Auch das Saugrohr des Motors, das immerhin Temperaturen zwischen 40 Grad minus und 200 Grad überstehen muss.

Unbegrenzt können recycelte Materialien im Autobau nicht eingesetzt werden. "Crash-Strukturen etwa oder Bauteile, die mit dem Airbag in Zusammenhang stehen, werden nicht aus Rezyklat hergestellt", sagt Engler von Daimler. Die Materialien weisen eine etwas größere Streuung beim Schwingungsverhalten und der Reißdehnung auf, was über die Zugabe von Additiven ausgeglichen oder bei der Produktionsanlage des Bauteils berücksichtigt werden muss, wie sie erläutert. Deshalb eignen sie sich nach Auffassung von Daimler nicht für sicherheitsrelevante Bauteile.

"Nachhaltigkeit allein reicht für uns nicht aus, jedes Rezyklat muss denselben Qualitätskriterien entsprechen wie ein Neumaterial", sagt Engler. Das sehen die Vertreter von BMW genauso, wobei Aumann keinen Einsatzbereich grundsätzlich ausschließen will: "Ein Rezyklat ist nicht grundlegend besser oder schlechter als ein Neuprodukt". Entscheidend seien die Produkteigenschaften. "Es geht darum, das optimale Material für jeden Einsatzbereich zu finden", so Aumann.

Damit dieses Material dann über den gesamten Lebenszyklus eines Modells eingesetzt werden kann, muss es auch in ausreichender Menge vorhanden sein. "Wenn wir ein Rezyklat getestet und entwickelt haben, das unsere Anforderungen erfüllt, wollen wir das in möglichst vielen Baureihen einsetzen", sagt Engler. Bei einer Generationsdauer von etwa sieben Jahren im Automobilbau können erhebliche Mengen anfallen. Nicht immer gibt es diesen Vorrat. Für die Umwelt aber verheißen die Bestrebungen gute Aussichten.

(RP)
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