Fahrbericht Rolls-Royce Ghost Series II Ein Quantum Trost

London · Die Zeiten ändern sich, und die Kunden auch. Mit dem Ghost Series II legt Rolls-Royce jetzt einen Facelift des erfolgreichsten Modells auf. Massgeschneidert für eine globale junge Wirtschaftselite, die bei aller handwerklichen Pracht nicht auf die gewohnte Technologie verzichten möchte.

Rolls-Royce Ghost Series II - in 450 Stunden gebaut
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Es kann sich eine ganze Welt in einem einzigen Detail offenbaren. Um exakt sieben Grad wurde die berühmteste Kühlerfigur der Welt beim Ghost nach vorne gekippt. Gerade so, als wolle die "Spirit of Ecstasy", die seit 103 Jahren jedem Fahrer eines Rolls-Royce den Weg weist, noch kühner dem Fahrtwind entgegen eilen.

Mit geliebten Ikonen augenzwinkernd umzugehen, ist natürlich very British. Durchaus vergleichbar diesem Moment bei der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in London, als die Kunstfigur James Bond in Form des Filmstars Daniel Craig die höchst reale Queen im Buckingham Palast abholte.

Der Hauch von Amusement in den königlichen Gesichtszügen entsprach durchaus jenen veränderten sieben Grad der Kühlerfigur. Denn so undenkbar einst das Zusammentreffen dieser beiden Ikonen gewesen wäre, so unerhört war der Gedanke an einen Rolls-Royce für Einsteiger. Aber tatsächlich ist dieser Ghost für viele Kunden My first Rolls. Fünf Jahre nach seiner Premiere hat das inzwischen erfolgreichste Modell der royalen Mobilität einen Facelift bekommen.

Der Bespoke Celestial Phantom mit Diamanten
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Vielleicht besitzt sogar Jack Ma einen Ghost? Der 50-jährige Chinese hatte kürzlich mit dem Börsengang seines Onlinekonzerns Alibaba den fulminantesten Aktieneinstieg der Geschichte hingelegt und entspricht wie maßgeschneidert dem Käuferprofil einer jungen, global agierenden Wirtschaftselite.

Für sie eröffnet der Ghost zwar die automobile Aristokratie alter Schule, bietet aber den neuen Lords und Ladys der Wirtschaft zugleich in Leder und Holz ausgestattete ständige Erreichbarkeit. Herr Ma könnte mit dem Touchpad des Controllers für die zentrale Menüführung zum Beispiel mit dem Finger chinesische Zeichen schreiben. Selbstverständlich erkennt das System auch arabische Buchstaben.

Auf den Geist der modernen vernetzten Welt mag ein Eigner eines majestätischen Rolls-Royce Phantom auch unterwegs keinen Wert legen. Aber der Ghost-Fahrer will darauf nicht verzichten, und geht vielleicht sogar noch einen Schritt weiter: man gibt dem Chauffeur frei und begibt sich selbst hinters lederumschmeichelte Lenkrad.

Wie der Spirit of Ecstasy strebt auch London unerbittlich der Zukunft entgegen. Hier, im Herzen der City, startete der erste Ausflug mit dem Ghost Series II getauften Facelift. Auch wer täglich mit Milliarden jongliert und Imperien aus dem Nichts schafft, erwartet von einem Rolls-Royce zunächst einmal eines: die Stille und das unmerkliche Vibrieren, wenn der Zwölfzylinder auf Knopfdruck zu Leben erwacht - dem Lächeln der Queen darin nicht unähnlich.

Ob es den wachsenden Ghost-Club tatsächlich interessiert, dass der Motorblock des Turbobenziners von der Mutter BMW geliefert wird? Womöglich ebenso wenig wie die Leistungsdaten: 420 kW/570 PS und ein Drehmoment von 780 Nm. Gleich dem Hauspersonal und den Assistenten des Vorstands haben sie einfach diskret und effizient bei Bedarf zur Stelle zu sein.

2012: Neuer Bentley Mulsanne in Genf
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Für ein Fahrzeug, das in durchschnittlich 450 Arbeitsstunden in Manufaktur Gestalt annimmt und ab exakt 272.837 Euro bestellbar ist, sind auch Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit nachrangig. Bei Rolls-Royce bewahrt man traditionell Diskretion und hüllt auch Verkaufszahlen vornehm in Schweigen. Nur so viel: man sei mit dem Ghost deutlich erfolgreicher als Bentley mit dem Flaggschiff Mulsanne und eine anvisierte Jahresstückzahl von 4.000 Einheiten durchaus bald möglich.

Im Schatten der spektakulären Hochhäuser flüstert der Geist aus Goodwood durch die Hektik eines Londoner Morgens. Selbst im gemächlichen Gleitmodus dürfte kaum jemand das optische Update am Design wahrnehmen. Dazu gehören neben neu gestalteten LED-Frontscheinwerfern, die von Tagfahrleuchten eingefasst werden dynamischer gezeichnete Stoßfänger.

Vielleicht erkennt jemand die zusätzlichen, "Wake Channel" benannten Bügelfalten auf der Motorhaube, die den Bug des über fünf Meter langen Ghost ins Meer des Großstadtverkehrs stechen lassen? Eine Hommage an die Schiffbautradition rund um Goodwood.

Die Zeitgeister, die Rolls-Royce mit grossem Erfolg rief, sind höchst anspruchsvoll. Die Entrepreneure wollen Neuerungen, aber man soll, bitte, nichts davon merken. Außer, dass die Bestuhlung vorne noch komfortabler ist und die Garnitur im Fond zueinander angewinkelt bestellt werden kann.

Außer, daß die Instrumente den Selbstfahrer jetzt eher an die kostbare Armbanduhr an seinem Gelenk erinnern sollen. Adaptive Scheinwerfer, die sich mit dem Lenkradeinschlag mitbewegen gehören zu den subtilen Nuancen, die wie die Verbesserungen am Fahrwerk allenfalls wie ein kaum merkliches königliches Lächeln wahrgenommen werden.

Während die hektische Welt da draußen vor den dicken Scheiben über das autonom agierende Nanny-Auto debattiert, vollzieht das Ghost-Fahrwerk seine Aufgaben wie ein alerter, aber unsichtbarer Butler. Series II verfügt auch über ein satellitengestützes Acht-Gang-Automatikgetriebe von ZF, das die GPS-Daten nutzt, um vorausschauend die richtige Fahrstufe zu wählen - Einfachheit hinter der sich die höchste technologische Ausbaustufe verbirgt. Den Schalter für die Fahrwerkseinstellungen sucht man im Ghost nämlich vergeblich, ebenso wie eine Klimaanlage, die sich exakt nach Temperaturgraden regeln ließe. Sir, das wurde bereits vom Fahrzeug selbstständig erledigt.

Das ist der Rolls-Royce Wraith
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So bleibt einem als Fahrer nichts übrig, als die Ausfahrt zu genießen. Auf der Autobahn Richtung Grafschaft Kent beschleunigt der Ghost mit gedämpftem Grollen und bremst ebenso behutsam seine 2,3 Tonnen ab. Gerade hier möchte der ruhelose Tycoon im Fond auch keine Hektik erleben müssen.

Allenfalls auf den engen, malerisch verschlungenen Landstraßen kommt bei Lkw-Gegenverkehr so etwas wie leicht ungebührliche Unruhe auf. Tatsächlich wirkt der Livingroom des Ghost innen breiter, als seine äußere straffe, schnörkellos moderne Form vermuten lässt. Gelassen federt er kurz entschlossen Straßenschäden ab, als wären es lästige Insekten.

Man will hoffen, dass künftige Eigner sich im Fond die Muße gönnen, jedes handwerkliche Detail zu goutieren. Fensterheber, die wie die Verschlußklappen einer Klarinette geformt sind, die aufwändigsten Holzfurniere der Autoindustrie, opulent und hochglänzend dank sechs Lackschichten, dann das genarbte neue Naturleder, das sich makellos gespannt und duftend um das Interieur schmiegt.

James Bond wählt bekanntlich eher Supersportwagen, die von Q einen ganz eigenen Facelift erhalten haben. Aber wenn es der Commander einmal doch ruhiger angehen lassen wollte, fände er auf der Rückbank tatsächlich eine Überraschung, die auch seinen Technik-Guru entzücken müsste. Einfach so, einfach weil sie´s können, haben die Entwickler in Goodwood hinter dem ausfahrbaren Aschenbecher ein Geheimfach versteckt, das es für Besitzer zu entdecken gilt.

Das ist fast so schön, wie der Regenschirm, der sich vorne aus der Tür ziehen lässt. Die Zeiten ändern sich, die Kunden auch. Aber das englische Wetter...

Rolls-Royce Ghost Series II - Technische Daten:

Limousine (auch als Langversion erhältlich), Länge: 5,40 Meter, Breite: 1,95 Meter, Höhe: 1,60 Meter, Radstand: 3,30 Meter, Gewicht: 2.360 kg, Kofferraumvolumen: 490 Liter

Motor: V12-Turbobenziner, 420 kW/570 PS, ZF-8-Gang-Automatikgetriebe, max. Drehmoment: 780 Nm bei 1.500 U/min, V-max: 250 km/h (elektronisch begrenzt), Durchschnittsverbrauch: 14,0 l/100 km, 0 - 100 km/h: 4,9 s, CO2-Ausstoß: 327 g/km

(SP-X)
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