Hilfe auf Knopfdruck

Ab 2017 brauchen neue Autos das automatische Notrufsystem eCall. Einige Hersteller bieten mehr als den Rettungsdienst.

Jody Allister ist eine Labertasche und wird auch noch dafür bezahlt. Die Mittvierzigerin sitzt für General Motors zusammen mit über 600 Kollegen in Detroit in einem Callcenter und gibt orientierungslosen Autofahrern Hilfestellungen: Wo der nächste Supermarkt ist, in welchem Hotel es noch freie Zimmer gibt, wie man zum Onkel nach Oklahoma kommt, sogar wo man am 24. Dezember nach 20 Uhr noch ein passendes Weihnachtsgeschenk kaufen kann: Wer den blauen OnStar-Knopf am Innenspiegel seines GM-Modells drückt und bei Allister landet, der erhält Antwort - und hat Sekunden später schon ein neues Ziel im Navigationssystem hinterlegt.

Das ist die Idee hinter dem Telematik-Dienst, den das US-Unternehmen 1996 eingeführt hat, sagt GM-Chefin Mary Barra: "Den Kunden zu helfen." Nicht nur bei einer Panne oder einem Unfall, wenn das System automatisch Alarm schlägt und Hilfe ruft, sondern auch bei alltäglichen Fragen.

Diese Hilfe wird offenbar oft angefordert: Zweimal pro Sekunde gibt es einen Kontakt. Weltweit sind sechs Millionen Teilnehmer bei dem Service registriert und lösen im Monat im Schnitt fünf Millionen Calls aus, teilt der Hersteller mit: Darunter sind zwar auch 100 000 Notfälle, aber vier Millionen Mal geht es um Zielführung und allein 139 000 Mal lassen sich schusselige Besitzer über das Callcenter den Wagen entriegeln, weil sie den Schlüssel darin vergessen haben.

Nachdem es OnStar bereits in Mexiko und China gibt, kommt der Dienst jetzt mit Opel nach Europa - allerdings nicht ganz freiwillig. "Im Grunde nehmen wir damit die Vorgaben zum eCall vorweg", sagt Opel-Chef Karl-Thomas Neumann. Damit meint er die EU-Entscheidung, nach der jedes ab 2017 neu zertifizierte Auto automatisch einen Notruf absetzen muss, wenn der Fahrer einen SOS-Knopf drückt oder die Elektronik etwa aus dem Airbag-Knall auf einen Unfall schließt. Dann wird die Position des Fahrzeugs und die Zahl der Insassen übertragen, und eine Leitstelle lotst die Retter zum Ort des Geschehens.

Weil eCall schon seit Jahren diskutiert wird, gibt es eine Reihe von Herstellern mit solchen Notruf- und Pannenhilfssystemen. So haben nach eigenen Angaben allein Citroën und Peugeot bislang rund 1,7 Millionen Fahrzeuge mit Diensten wie Connect Assistance oder eTouch ausgestattet. Wer da auf den SOS-Knopf drückt, landet in einem Call-center, das im Notfall sofort die Hilfsmaßnahmen koordiniert, erläutert Citroën-Sprecher Stephan Lützenkirchen. Das geschieht auch automatisch, wenn zum Beispiel bei einem Unfall der Airbag auslöst.

Opel hat es allerdings nicht beim eCall belassen, sagt Firmenchef Neumann: Weil das Auto ohnehin die SIM-Karte, den GPS-Sensor, die Schnittstelle zur Bordelektronik und die leistungsfähige Antenne benötigt und der Hersteller das Callcenter braucht, machen die Hessen aus der Not ganz einfach eine Tugend und bieten das ganze OnStar-Spektrum an. Was in den USA Gang und Gäbe ist, bieten in Europa sonst bisher nur BMW und Mini an. Viele andere Hersteller stellen ähnliche Dienste aber in Aussicht.

Bei BMW heißt das OnStar-Pendant "Concierge"-Service und ist bereits seit mehreren Jahren am Start: Auch dort helfen Agenten im Callcenter bei der Orientierung, der Auswahl von Sonderzielen oder der Organisation der Reise: "Es ist, als hätte man einen persönlichen Butler", wirbt BMW dafür.

Allerdings gibt es ihn nicht umsonst: Während der Notruf spätestens ab 2017 kostenlos angeboten werden muss, kassiert BMW für die Zusatzdienste gleich doppelt: Einmal für die bis zu 1500 Euro teure Grundausstattung im Fahrzeug und die ersten zwei Jahre der Nutzung, und danach für die Abo-Gebühr weiterer Service-Pakete. Und auch wenn OnStar die Preise laut Pressesprecher Patrick Munsch erst im Sommer nennen will, wird man sich nach der einjährigen Probephase wohl auf eine dreistellige Jahresgebühr einstellen müssen. In den USA jedenfalls kostet der Dienst bisher umgerechnet etwa 19 Euro im Monat.

Von Experten wird die Einführung solcher Angebote mehrheitlich begrüßt, wobei sie die Vorteile vor allem im eCall sehen. So rechnet der ADAC mit bis zu fünf Prozent weniger Verkehrstoten, wenn die Rettungsdienste künftig automatisch alarmiert werden. In Europa sollen nach Einschätzung der EU-Kommission mit der etwa 100 Euro teuren Technik rund 2500 Menschenleben im Jahr gerettet werden.

Zusatzdienste wie bei Opel OnStar oder BMW Connect beurteilen die Experten jedoch kritisch. Hans-Georg Marmitt von der Prüforganisation KÜS sieht zwar auch im elektronischen Privatsekretär bei OnStar & Co. einen Gewinn, der die Sicherheit erhöht. "Es ist ungefährlicher, sich über das fest eingebaute Telefon Sonderziele aussuchen und zuschicken zu lassen, als diese während der Fahrt zu suchen und dann die Adresse einzutippen", ist der KÜS-Sprecher überzeugt. Doch im Gegenzug müsse man Einschränkungen bei der digitalen Selbstbestimmung in Kauf nehmen: "Ohne dass man Positionsdaten und Identität übermittelt, kann einem das beste Callcenter nicht helfen."

Der ADAC fordert vor diesem Hintergrund eine Regelung, die es ermöglicht, neben eCall auch optionale Zusatzdienste verschiedener Anbieter über die jeweiligen Bordsysteme nach eigenen Vorstellungen zu nutzen. "Nach Ansicht des ADAC sollte jeder Autofahrer die Entscheidungsfreiheit haben, ob und an wen seine Fahrzeugdaten gesendet werden, zum Beispiel an den Hersteller, Pannendienste oder andere Anbieter", sagt ADAC-Sprecherin Marion-Maxi Hartung.

(RP)
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