Probefahrt mit der Harley-Davidson Street 750 Kann eine Harley jemals billig sein?

Madrid · Wer sich am deutschen Motorradmarkt halbwegs auskennt, der weiß: Harleys sind teuer, dafür aber wertstabil. Eine billige Harley – auch eine billig gemachte – wäre eine Art Paradoxon. Der US-Traditionshersteller versucht sich an der Quadratur des Kreises.

Probefahrt mit der Harley-Davidson Street 750
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Wer sich am deutschen Motorradmarkt halbwegs auskennt, der weiß: Harleys sind teuer, dafür aber wertstabil. Eine billige Harley — auch eine billig gemachte — wäre eine Art Paradoxon. Der US-Traditionshersteller versucht sich an der Quadratur des Kreises.

Dieses Jahr unternimmt der mittlerweile 111 Jahre alte Traditionskonzern aus dem amerikanischen Mittelwesten einen Schritt in diese Richtung: Mit dem Modell Street 750 kommt erstmals ein Bike auf den Markt, das schlichte Technik bietet und zudem nicht "proudly made in America" ist, sondern in Indien gebaut wird — für alle Märkte weltweit außer dem nordamerikanischen. Die Motorräder für USA und Kanada entstehen, wie alle "echten" Harleys, in den USA.

Weil allüberall in den entwickelten Ländern die Motorradfahrer alt und älter werden, sinnierten auch die Harley-Oberen jahrelang, wie sie wohl das Fortbestehen der 1903 gegründeten Legende langfristig sichern könnten. In den Fokus gerieten die Schwellenländer: In Brasilien, Indonesien, Indien, China und anderswo wächst langsam eine Mittelschicht heran, die sich manchen bisher unvorstellbaren Luxus — beispielsweise ein hubraumstarkes Motorrad — leisten kann und will.

Da muss man rechtzeitig einen Fuß in die Tür dieser sich entwickelnden Märkte stellen, erkannte man am Sitz der Motor Company in Milwaukee richtigerweise. Und entwickelte mehrere Jahre lang unter äußerster Geheimhaltung ein vollkommen neues, auf diese Zielgruppe zugeschnittenes Motorrad, das wesentlich preiswerter ist und konsequenterweise auch gleich im Süden Asiens gebaut wird, nämlich in Indien. In einer neuen, Harley-eigenen Fabrik.

Street heißt die neue Baureihe, die im Herbst 2013 erstmals zu sehen war und die erste echte Modell-Neuheit seit 14 Jahren darstellt. Alles an der Street ist neu: Der wassergekühlte 750 Kubik-V2-Motor, der Doppelschleifen-Stahlrahmen, die Fahrwerkselemente, die Bremsanlage.

Freilich ist nichts davon neu im Sinne von revolutionär oder besonders einfallsreich — im Gegenteil: Alles ist von unübersehbarer Schlichtheit. Ungefähr so, wie ein Harley-Nachahmer in Indien es sich wohl vorstellen würde, entschlösse er sich dazu, ein Harley-Plagiat zu bauen. Denn die Street ist natürlich trotz "made in India" eine Harley, und sie sieht auch so aus.

Die Street 750 fährt sich auch wie eine Harley. Ein wenig betulich, aber keineswegs lahm. Sie ist ein wendiges, leicht handhabbares Motorrad, das genussvoll zu fahren keine mordsmäßige Motorrad-Erfahrung voraussetzt. Schalter und Hebel sind leichtgängig, können aber dennoch nicht gänzlich zufrieden stellen: Brems- und Kupplungshebel stehen weit ab und sind, da nicht einstellbar, nur von Prankenträgern leicht zu ergreifen.

Auch sonst finden sich — mit den Augen des Zweiradprofis gesehen — allerlei Punkte, die dem US-Traditionshersteller nicht gerade zur Ehre gereichen: Die Verkabelung liegt weit unter dem in entwickelten Ländern üblichen Standard, manche Schweißnähte sind betont rustikal ausgeführt, für etliche andere Teile wie beispielsweise den massiven (!) Träger der Hupe oder die Befestigungsplatten der Fahrerfußrasten gilt das nicht minder.

Tempo 170 ist pure Raserei

Zudem operiert die Front-Scheibenbremse — ein ABS ist bemerkenswerterweise nicht lieferbar — arg zahnlos, während die hintere Bremse eigentlich ein gutes Potenzial hat, das aber wegen der missglückten Ergonomie nicht abgerufen werden kann; die meisten menschlichen Fußgelenke bieten nicht die zur Betätigung nötigen Fakir-Voraussetzungen.

Wir wollen an dieser Stelle nicht die große "Ungenügend"-Keule schwingen, sondern versetzen uns in die Situation der angepeilten Zielgruppe: Die ist jung und kennt das, auch technisch, überaus anspruchsvolle Motorradfahren in Mittel- und Südeuropa nicht. Für die sind 42 kW/56 PS eine Menge und Tempo 170 ist pure Raserei. Weil das Triebwerk angenehm dezent arbeitet und für eine Harley sensationell drehfreudig ist, kommt auch für unsereinen diesbezüglich keine Langeweile auf. Auf guten Straßen lässt sie sich leicht dirigieren, größere Schräglagen sollte man freilich meiden, weil die Street sonst unangenehmerweise mit nicht nachgebenden Bauteilen aufsetzt.

Entscheidend für den Erfolg dieser neuen Baureihe ist sicher, wie die Street in den Milliarden-Märkten aufgenommen wird. Mitteleuropas Bedeutung ist dagegen vernachlässigbar. Erfolge hier sind ebenfalls möglich — aber nur unter zwei Voraussetzungen: Die Street 750 muss in einigen Details besser verarbeitet sein, wenn sie im Spätsommer dieses Jahres nach Deutschland kommt. Und sie muss billig sein.

Läge sie, wie es zu erwarten ist, nur rund 1.000 Euro unter der aktuell günstigsten Sportster-Version, würde es wohl schwierig für sie werden auf unserem anspruchsvollen Markt. Womit wir beim eingangs angesprochenen Paradoxon angelangt wären: Eine billige Harley — kann es die wirklich geben?

Technische Daten Harley-Davidson Street 750

Motor: Flüssigkeitsgekühlter V2-Motor, vier Ventile pro Zylinder, DOHC, Hubraum 749 ccm, Leistung 42 kW/56 PS bei 8.000/min, Drehmoment 60 Nm bei 4.000/min, Sechsganggetriebe, Zahnriemen. Fahrwerk: Stahl-Doppelschleifenrahmen; Telegabel, zwei Federbeine, vorspannbar; Einscheibenbremse vorn und hinten mit Zweikolben-Bremszangen; Reifen vorne 100/80R 17, Reifen hinten 140/75 R 15. Maße und Gewichte: Radstand 1.534 mm, Sitzhöhe 709 mm, Gewicht fahrfertig 222 kg, Tankinhalt 13,1 Liter. Messwerte und Verbrauch dzt. nicht bekannt. Der Preis steht noch nicht fest.

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