24 Stunden Nervenkitzel Mit einem Porsche-Fahrer beim Rennen in Long Beach

Long Beach/Kalifornien · Seit es Autos gibt, fahren wagemutige Piloten um die Wette, für die Zuschauer seit jeher eine atemberaubende Mischung aus Technik, Action und Dramatik. Noch spannender ist ein Rennen aber aus der Perspektive eines Fahrers.

Mit einem Porsche 911 RSR beim Rennen in Long Beach
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Mit einem Porsche 911 RSR beim Rennen in Long Beach

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Es liegen im Motorsport manchmal nur Bruchteile von Sekunden zwischen absoluter Euphorie und bodenloser Enttäuschung, das wird sich an diesem Rennwochenende wieder einmal bewahrheiten.

Vor einer Postkartenkulisse mit Sonne, Meer und Palmen startet die nordamerikanische Rennserie IMSA Sportscar Championchip auf dem Stadtkurs im kalifornischen Long Beach. Die auch "amerikanisches Monaco" genannte Strecke stand von 1976 bis 1983 sogar im Rennkalender der Formel-1-WM.

Auch abgesehen von den Temperaturen unter kalifornischer Sonne ist der Grand Prix von Long Beach ein hitziges Rennen. Nicht nur, weil es mit 100 Minuten das kürzeste der Sportwagenserie ist, zu der Klassiker wie die 24 Stunden von Daytona oder die 12 Stunden von Sebring gehören.

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Der palmengesäumte Stadtkurs durch das Hafenviertel ist auch spektakulär eng, auf den exakt 3,167 Kilometern mit zwölf Kurven gibt es nur wenige Gelegenheiten zum Überholen. Auch deshalb mag Porsche-Pilot Laurens Vanthoor den Kurs besonders: "Ich fahre gerne auf solchen Strecken, man muss die ganze Zeit unglaublich fokussiert sein."

Sein Fahrzeug ist einer von zwei 911 RSR, die das Porsche-Werksteam einsetzt, Startnummer 912, der Wagen der Teamkollegen trägt die 911 — jeder ist eine knappe Million Euro wert. Basis ist natürlich die Sportwagenikone 911, allerdings ist der 4,0-Liter-Saug-Boxer des 510-PS-Boliden vor der Hinterachse eingebaut, quasi in Mittelmotorlage.

Für aerodynamische Effizienz und ein hohes Maß an Abtrieb sorgt der große Heckdiffusor in Kombination mit großem Heckflügel. Der 911 RSR, der auch bei den WEC-Langstreckenrennen der FIA eingesetzt wird, ist die Speerspitze der 911-Familie. Motorsport gehört zu Porsche wie zu kaum einer anderen Marke, insbesondere in Amerika, Porsches größtem Einzelmarkt.

Es ist Freitagnachmittag, und es sind noch 24 Stunden bis zum Rennen. Die Grills mit endlosen Reihen Rippchen qualmen um die Wette, auf der Strecke röhren historische Trans-Am-Boliden.

Früh am Morgen sind die beiden Porsche-Teams zum ersten Mal mit den Autos auf dem Kurs gestartet, im ersten von zwei freien Trainings, "um Vertrauen zu gewinnen", wie Vanthoor sagt, "damit du mehr Risiko eingehen kannst." Er kennt die Strecke, ist im vergangenen Jahr Dritter geworden. Doch die Runden heute Morgen liefen nicht so leichtfüßig, er ist unzufrieden: "Der Biss war nicht da, ich habe mich geärgert."

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Foto: SP-X/Max Friedhoff

Jetzt, einen halben Tag, zwei Nachbesprechungen, eine Physio-Behandlung und etwas Musikhören später, sitzt Vanthoor auf den schwarzen Lederpolstern im Team-Truck. Er erzählt ruhig und konzentriert, auf Deutsch — seit neun Jahren ist er mit einer Deutschen, seiner heutigen Ehefrau Jacqueline liiert, sie leben mit ihren Hunden in Waiblingen bei Stuttgart. Von Aufregung vor dem in rund drei Stunden anstehenden Qualifying ist ihm kaum etwas anzumerken und die Frage danach belächelt er. "Das ist über die Jahre weniger geworden. Wenn Du das fast jedes Wochenende machst...".

Mit seinen 26 Jahren kann der gebürtige Belgier auf diverse Siege und Podiumsplätze zurückblicken, in der Formel 3 und als GT3-Pilot für Audi. Seit 2017 fährt er für Porsche, in Nordamerika GT-Langstreckenrennen der Sportscar Championchip der IMSA (International Motor Sports Association) sowie größere Langstrecken-Klassiker wie Mitte Juni das 24-Stunden-Rennen in Le Mans.

Wenig später tritt Vanthoor — jetzt in voller Montur — aus der Ruhe des klimatisierten Trucks ins offene Team-Zelt. Auf die weißen Planen brennt die kalifornische Sonne, darunter staut sich die Hitze, von der Rennstrecke dröhnen die Motoren bis ins Fahrerlager.

Noch parkt die Nummer 912, schnell sein müssen jetzt vorerst nur seine Fahrer: Unter den neugierigen Blicken der umstehenden Fans tauschen Vanthoor und Bamber in Rekordzeit den Platz am Steuer, immer wieder. Tür auf, einer raus, einer rein, vier Gurte schließen, Funk einstecken, Türfangnetz schließen, Tür zu — die Handgriffe sitzen, der Wechsel wirkt so geschmeidig wie ein Tänzchen.

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Foto: Hersteller/SP-X

Anerkennend zeigt der Fahrzeugingenieur die Stoppuhr: 9,5 Sekunden. "Der Fahrerwechsel ist bei einem kurzen Rennen mit das Wichtigste", sagt Pascal Zurlinden, Porsches Projektleiter für GT-Werksmotorsport. "Jede Sekunde, die wir an der Box liegenlassen, tut doppelt weh. Tanken, neue Reifen, Fahrerwechsel — beim einzigen Stopp darf nichts schief laufen." Anders als in einem 24-Stunden-Langstreckenrennen können verlorene Sekunden in einem 100-Minuten-Lauf kaum aufgeholt werden.

Weil es auf dem engen Kurs kaum Möglichkeiten zum Überholen gibt, startet man das Rennen am besten gleich aus der ersten Reihe. Doch davor hat das Reglement das Qualifying gesetzt: Wer hier die schnellste Runde fährt, steht vorn.

15 kurze Minuten höchster Konzentration am Abend eines langen Freitags: "Auf dieser Strecke gibt es nur eine Linie, man kann sich keine Fehler leisten", sagt Vanthoor. Jede Fehleinschätzung, jedes Verbremsen, jedes zu schnelle Anfahren der Kurve könnte an der nächsten Mauer enden. Der Motorenlärm der vorbeiziehenden Sportwagen lässt das Trommelfell erzittern.

Mutig, aber nicht übermütig zieht der Belgier den RSR also um die engen Kehren, geht mit der ersten Runde in Führung und legt eine noch schnellere nach. In der Box blicken alle gebannt auf die Zeiten, ist das die Pole-Position? Die allerletzte Runde — und dann ist doch noch ein Auto den Wimpernschlag von 0,144 Sekunden schneller. Mechaniker und Ingenieure klopfen dem verschwitzten Vanthoor auf die Schulter, "good job". Er lächelt etwas bemüht, wissend, dass er die anderthalb Zehntel mit seinem 510-PS-Boliden wohl noch hätte egalisieren können, aber nicht ohne Not ein höheres Risiko eingehen wollte. "Ist ok. Ich bin zufrieden."

Auch von Position zwei wird der 911 RSR am nächsten Mittag aus der ersten Reihe starten. Was das für die Strategie bedeutet, diskutieren Team-Management und Ingenieure noch am späten Abend. Wann kommt der Boxenstopp? Und wenn eine gelbe Flagge das Feld zwangsweise zusammenholt? Und wenn Team 912 dann in Führung liegt? "Man muss für alle Ereignisse einen Plan haben", sagt Zurlinden. Am Kommandostand in der Box wird auch noch während des Rennens angepasst, aber: "wenn man alles live rechnet, ist das Rennen vorher rum."

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Foto: Nissan

Vanthoor ist währenddessen auf einem offiziellen Abendessen eingeladen, "das gehört dazu, genau wie die ganzen Meetings", sagt der Profi und grinst verschmitzt: "Am liebsten würden wir natürlich nur fahren." Übrigens nicht nur Auto, sondern auch Rennrad — natürlich im Wettbewerb, auf Radrennen in der Umgebung seines Wohnorts. "Und jedes Mal denke ich: Warum tue ich mir das an?", scherzt er. "Da bin ich mehr gestresst als an den Rennwochenenden."

Der Tag des Rennens beginnt für ihn um sieben Uhr morgens, ohne Sport, aber mit einer Reihe von Briefings; Autogramm-Stunde im Fahrerlager, VIP-Gäste, die begrüßt werden wollen — erst am späten Vormittag kann er sich im kühlen Truck etwas zurückziehen: "Ich mag es, die Stunde vor dem Rennen meine Ruhe zu haben." Jetzt kommt es auf die mentale Vorbereitung an, man sollte konzentriert und positiv eingestellt sein. Nebenan im Zelt wird der 911 RSR mit der Nummer 912 vorbereitet, das Setup kontrolliert, die Bremsen überprüft, vollgetankt.

Und dann geht es los, die Boliden donnern auf der Start-Ziel-Gerade an der Boxengasse vorbei, anerkennendes Gemurmel in der Box: Vanthoor hat seinen 911 beim fliegenden Start an die Spitze gesteuert, führt das Feld mit hoher Geschwindigkeit an. "Wegfahren, aber das Rennen im Auge behalten", beschreibt er es später. Eine Safety-Car-Phase holt das Feld zusammen, Vanthoor gewinnt auch den Restart. Die Kameraperspektive im Live-TV zeigt den Blick in das Cockpit: Seine Augen bewegen sich schnell, er hält das Lenkrad fest umfasst, die Unebenheiten des Stadtkurses sorgen immer wieder für leichte Schläge ins Lenkrad.

Am Boxenfunk ist es ruhig, mit voller Konzentration jagt der Belgier den RSR auf der Ideallinie über die Strecke, kommt den Mauern immer wieder bis auf Zentimeter nah. Rund 30 Minuten, dann heißt es in der Box: "Wir sind im Zeitfenster" — kommt jetzt eine Gelbphase, wird getankt und Reifen und Fahrer gewechselt.

Physiotherapeutin Lucy stellt Trinkflasche und ein feuchtes Tuch bereit, Fahrerkollege Earl Bamber platziert sich an die Mauer, die Mechaniker sind mit Reifen in der Hand ebenfalls bereit zum Sprung. Dann kommt Nummer 912 rein, Fahrerwechsel, Tanken, Reifen — es läuft nicht ganz perfekt, aber Bamber ist schnell wieder vorn, vor ihm nur noch ein Auto, das den jüngsten Boxenstopp nicht mitgemacht hat.

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Foto: Teymur Madjderey/SP-X

Vanthoor hat sich Kopfhörer für den Funk aufgesetzt, blickt gespannt auf die Bildschirme, wo sich der RSR mit der Nummer 912 ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefert und sich dann rund eine Dreiviertelstunde vor Ende mit einer mutigen Aktion an die Spitze setzt und einen Vorsprung herausfährt. Könnte das Vanthoors erster Porsche-Sieg in Nordamerika werden? Nach dem dritten Rang vier Wochen zuvor in Sebring, bei dem das Schwesterteam Nummer 911 siegte, wäre es die perfekte Steigerung.

Es sind noch gut zwanzig Minuten zu fahren, als ein Funkspruch alle Hoffnung zerstört: Bamber sagt, am Auto fühle sich etwas komisch an. In der Box wird es hektisch: Was kann das sein? Am Bildschirm sieht man es schließlich aus dem rechten vorderen Radhaus qualmen, als Nummer 912 reinkommt ist klar: Die Aufhängung ist gebrochen, vielleicht aufgrund eines Kontakts mit einem anderen Auto zuvor, das Rennen zu Ende.

Mit einem lauten Fluch verlässt Vanthoor die Box. Ein paar Meter weiter lehnt er sich am Zaun über ein Benzinfass, Ehefrau Jacqueline legt ihm eine Hand auf den Rücken. Als er zurückkommt, ist sein Blick starr, die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben. "Manchmal ist Motorsport einfach Mist", platzt es aus ihm heraus.

Auch Motorsport-Chef Frank-Steffen Walliser nennt es ein "Rennen zum Vergessen", hier könne man sehen, wie nah Sieg und Niederlage auf dem schwierigen Stadtkurs in Long Beach zusammenliegen. Für Vanthoor hat er aber nur lobende Worte. "Der Sieg kommt, da mache ich mir keine Sorgen."

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Foto: Porsche

Wenn auch nicht mit einem offiziellen Titel, so kann sich der Belgier immerhin mit damit schmücken, schnellster aller Fahrer in Long Beach gewesen zu sein, das hat der Rundenzeiten-Vergleich festgestellt. Und zwei Tage nach dem Rennen postet er auf Instagram ein Foto des RSR in Führung und schreibt: "Ich vermisse Long Beach schon. Bis nächstes Jahr!"

(csr)
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