Ostfriesenspieß A31 Die fast vergessene Autobahn

Düsseldorf (RP). Sie ist 241 Kilometer lang - die A 31, die aus dem Ruhrpott nach Emden führt und im Volksmund bloß "Friesenspieß" heißt. Wer auf ihr fährt, reist meistens sehr einsam - besonders im grauen Januar. Eine Meditation über einen modernen Jakobsweg.

Einsame Autobahn: Die A31
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Foto: ddp

Irgendwann ist man ganz allein. Mit sich, dem Autoradio, ein paar Niederländern und umhertreibenden Autofahrern, die es hierhin verschlagen hat: auf die Bundesautobahn mit der Nummer 31, den 241 Kilometer langen Friesenspieß. Der beginnt bei Bottrop, hinter dem Movie-Park also, der mit all seinen Animationen und Imitationen wie ein letzter, greller Aufschrei des Lebens wirkt. Danach kehrt Ruhe ein.

Die Landschaft wird bald so flach, dass sich dagegen der Niederrhein wie ein wildes Gebirgsmassiv ausnimmt. Vorbei an Gescher, der Glockenstadt. Die Kirchengemeinden, die noch Geld haben, lassen sich hier in der Gießerei Petit & Gebrüder Edelbrock eine Glocke gießen. Außerdem gibt es ein kleines Glockenmuseum und die wache Erinnerung daran, dass am Ort die Weltjugendtagsglocke "Johannes Paul II." entstand.

Immer einsamer und stiller

Sehr gern würde man jetzt Schiller aufsagen, aber weil der Friesenspieß-Reisende Ende der 60er Jahre die Schule besuchte und damals das total kritische Interpretieren den Vorrang vor dem andächtigen Deklamieren hatte, langt es gerade noch für die erste Strophe "Fest gemauert in der Erden..." - und außerdem sind wir an Gescher jetzt schon vorbei.

Aber wohin? Die A 31 ist ein komischer Weg, der immer einsamer und stiller wird, je nördlicher man kommt. Die Gaststätte Frauenhof wirbt mit einem Plakat auf einem rostigen Karren mitten auf einer Kuhweide ohne Kühe zum Verlassen der Autobahn. Ein Schickalswink? Oder eine letzte Warnung? Wird tatsächlich der Frauenhof die Erlösung sein? Obacht, schon Größere waren dieser uralten Falle ausgesetzt.

Bald sind nur noch Windräder stumme Zeugen unserer Reise auf einer Autobahn, die man sechs Jahrzehnte plante und die dann etliche Jahre Stückwerk blieb. Auf halbem Weg klaffte eine Lücke von 41,5 Kilometer Länge; in etwa die mythische Distanz einer Marathon-Strecke. Die Lücke ist berühmt geworden, weil sie Ende 2004 geschlossen wurde: also über zehn Jahre früher als geplant. Denn erstmals trugen auch private Gelder zum Bau der Straße bei; sogar die Niederlande hatten sich beteiligt. Die eher zurückhaltenden Meldungen klangen damals wie Etappensiege, alle anderen gleich wie Eroberungen. Als ob den Deutschen erst mit dem Friesenspieß der Zugang zum Meer möglich gemacht wurde: Freie Fahrt zur Nordsee!, hieß es. Na endlich.

Putzige Modelllandschaft

Aber der Reisende bekommt wieder einmal zu spüren, dass der Weg das Ziel ist. Und der wirkt ab Gronau wie eine putzige Modelllandschaft mit ein paar Hochsitzen am Rand, mit traurigen Tafeln, auf denen Leder im Fabrikverkauf oder irgendwelche Gewerbeflächen in zukunftsgläubigen Businessparks angepriesen werden. Wer aber notiert sich im Vorbeirasen wirklich die großformatigen, ziffernarmen Telefonnummern?

Irgendwann - vielleicht ab Wietmarschen - lädt die A 31 nur noch ein zur Meditation. Ein moderner Jakobsweg, vorbei an schwarzen Moorlandschaften, in denen im "Tausendjährigen Reich" KZ-Häftlinge schuften mussten und das Moorsoldatenlied sangen, getextet vom Duisburger Bergmann und strammen Kommunisten Johann Esser.

Natürlich gibt es kaum Raststätten. Für wen auch? Stattdessen sehr saubere Parkplätze mit sehr sauberen Toilettenhäuschen. Ein Fahrspurwechsel wird zur Attraktion, die Blinker benutzt kaum noch jemand. Aber was ist, wenn auch das nur die Sublimation eines versonnen Reisenden ist? Wenn die A 31 tatsächlich eine ganz normale Bundesautobahn mit ganz normalem Verkehr ist?

Neun Fahrzeuge pro Minute

Von wegen. Die Bundesanstalt für Verkehrswesen weiß, dass auf deutschen Autobahnen nach letzter (manueller!) Zählung im Jahre 2005 stündlich und durchschnittlich 47.632 Fahrzeuge unterwegs waren. In kaum einem Streckenabschnitt erreicht die A 31 die Hälfte davon, in Lathen sind es täglich sogar nur 14.600 Fahrzeuge, in Rhede 13.600 und in Papenburg 12.900 - das sind nicht einmal neun Fahrzeuge pro Minute.

Anders gesagt: Auf dieser Autobahn sind wir alle nur Geisterfahrer, auf diesem zweispurigen Weg, der längst Selbstzweck geworden ist. Eine Metapher vielleicht für das Leben oder wenigstens für einen Ort, an dem alles Fragen und Suchen ein Ende gefunden hat.

Wer noch bei Sinnen ist, liest die Autobahn-Tafel "Niedersachsen - immer eine gute Idee". Oder er liest sie eben nicht. Die Orte heißen jetzt einfach nur Leer (in den Abfahrtsvariationen West, Nord und Dreieck), Filsum, Jemgum oder Pewsum - also ein bisschen wie die Lager der doofen Römer bei Asterix. Und ganz allmählich wächst der dunkle Verdacht, dass diese Autobahn möglicherweise nie enden wird.

Oh garstiges Sinnbild der ewigen Wanderschaft - das schließlich mit aller Nüchternheit des kargen Nordens widerlegt wird: "Emden-West". Endstation. Und wahrscheinlich am Ziel, denn der Blick bleibt haften am Plakat der Emdener Kunsthalle. Was es dieser Tage dort zu schauen gibt? Nichts weniger als Bilder vom "Garten Eden".

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