In Holland Planer schafft alle Verkehrsschilder ab

Drachten/Bohmte (rpo). Ein niederländischer Verkehrsplaner macht den Verkehr sicherer, indem er radikal alle Schilder abschafft. In Deutschland beteiligt sich mittlerweile die niedersächsische Gemeinde Bohmte an dem ehrgeizigen Projekt.

Die dümmsten Verkehrsschilder
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Die dümmsten Verkehrsschilder

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Foto: Bundesanstalt für Straßenwesen

Die Kreuzung im niederländischen Städtchen Drachten wird täglich von 12.000 Fahrzeugen in der Längsrichtung und weiteren 5.500 in der Querrichtung passiert. Radfahrer preschen vorüber, aus der Fußgängerzone quellen Passanten. All diese Verkehrsteilnehmer vermengen sich auf der Kreuzung zu, keine Ampel und kein Vorfahrtsschild helfen ihnen dabei. Es gibt nicht einmal Bürgersteige oder auch nur Fahrbahnmarkierungen. Die Kreuzung ist, gewissermaßen, nackt: ein ebener, rot gepflasterter Platz.

Die schilderlose Kreuzung, über die die Zeitschrift "ZeitWissen" in ihrer jüngsten Ausgabe berichtet, ist das Werk von Hans Monderman. Der ist kein Sadist, sondern Verkehrsplaner. Er will, dass sich die Menschen die Straße teilen. "Shared space" nennt er es, wenn er Autos, Radler, Fußgänger, Mopeds durcheinander wuseln lässt, keinem und damit allen die Vorfahrt gibt und so jeden zwingt, auf seine Mitmenschen aufzupassen.

Vorfahrts- und Stoppschilder, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Ampeln wiegten die Menschen nur in der falschen Sicherheit, “dass ihnen nichts passieren kann, solange sie sich an die Regeln halten„, sagt Monderman. “Und das stimmt nicht.„ Theoretisch gilt auch auf Mondermans Kreuzungen “rechts vor links„, praktisch verlässt sich aber jeder lieber auf den direkten Blickkontakt. Das Ganze ist so unlogisch wie die menschliche Psyche, und prompt funktioniert es bestens.

Idee schon 20 Jahre alt

Wie aber kommt jemand auf so eine Idee? Hans Monderman bekam vor 20 Jahren den Auftrag, eine Durchgangsstraße in einer nordholländischen Gemeinde umzubauen. Aus einem Instinkt heraus ließ er den Asphalt durch rote Klinkersteine ersetzen, mit einem sandfarbenen Saum links und rechts, so dass die Straße optisch schmal erschien. Es sollte wie ein Dorf aussehen, nicht wie eine anonyme Durchgangsstraße.

Als der Umbau fertig war, wollte Monderman die Geschwindigkeit der Autos mie einer Radarpistole messen. Überrascht stellte er fest, dass er kaum etwas messen konnte. Das Gerät registrierte Geschwindigkeiten erst ab 30 Stundenkilometern — die meisten Autos fuhren langsamer.

Bei Mondermans bekanntestem Projekt, einer anderen Kreuzung in Drachten, rollte der Verkehr früher mehrspurig. Linksabbieger, Busse und auch die Radfahrer hatten ihre eigene Fahrbahn. Heute teilen sich Busse, Autos, Laster und Radfahrer eine Spur um einen Kreisverkehr, der so klein gehalten ist, dass die Mehrtonner gerade noch die Kurve kriegen.

Nur noch zehn Minuten zum Durchqueren

Kaum ein Fahrzeug fährt schneller als 20 Stundenkilometer, doch weil fast niemand anhalten muss, dauert es heute nur etwa zehn Minuten, um das Zentrum von Drachten zu durchqueren, während es früher 20 waren. An mittlerweile 107 Straßen und Kreuzungen hat Monderman sein Shared-Space-Konzept umgesetzt. An keiner ereignete sich bisher ein ernster oder gar tödlicher Unfall.

Dieser Tage hilft Hans Monderman, ein länderübergreifendes EU-Projekt zu koordinieren, bei dem sieben Städte in Belgien, Holland, Dänemark, England und Deutschland mit Shared Space experimentieren. Für die Bundesrepublik beteiligt sich die niedersächsische Gemeinde Bohmte.

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